7. Januar 2021

Kampagne Zusammen ist Zukunft

"Werkstattkollegen ausnutzen – das geht nicht"

Einen Job zu haben, bedeutet Teilhabe am Leben – gerade für Menschen mit Behinderung. Ihre Rechte als Arbeitnehmer sind auch in Werkstätten besonders geschützt. Dort achten gewählte Interessenvertreter wie Paul Moll auf Mitbestimmung und Gerechtigkeit. Für die Kampagne "Zusammen ist Zukunft" stellt sich der Werkstattrat den Fragen von Zora Kiesow und Philipp Fuchs vom Social Media Team Hephata.

  • Fragenhagel: Zora Kiesow und Philipp Fuchs vom inklusiven Social Media Team interviewen Hephata-Werkstattrat Paul Moll.
  • Für andere da sein: Paul Moll arbeitet seit zehn Jahren als Werkstattrat in der Evangelischen Stiftung Hephata.
  • Zora Kiesow während des Interviews mit Paul Moll
  • Zuhören: Philipp Fuchs während des Interviews mit Werkstattrat Paul Moll.
  • Die beiden Interviewer Philipp Fuchs und Zora Kiesow halten die Box hoch, in der die Fragen für die Gäste gesammelt werden.

Philipp Fuchs zieht eine rote Frage, eine freche Frage, aus dem Fragenhagel-Behälter. „Wie kannst du verhindern, dass Menschen in einer Werkstatt ausgenutzt werden?“, fragt der junge Interviewer vom Social Media Team Hephata sein Gegenüber Paul Moll vom Werkstattrat der Hephata-Betriebsstätte am Karl-Barthold-Weg in Mönchengladbach. Indem er sich einmische, erklärt der Vertreter der Werkstatt-Beschäftigten energisch. Dazu sei auch Mut nötig, stellt er fest. Klar, denn der Werkstattrat vertritt laut Gesetz die Interessen der Beschäftigten gegenüber der Werkstattleitung. 

Ähnlich wie ein Betriebsrat redet er beim Entgelt, den Arbeitszeiten, Pausen und beim Kantinenessen mit. Die rechtliche Grundlage für die Vertretung der Beschäftigten mit Behinderung gibt es bereits seit rund 20 Jahren. "Anfangs ging es dabei eher um Mitwirkung", erklärt Petra Welzel, die bei der Diakonie RWL für die Werkstätten zuständig ist. "Mittlerweile ist echte Mitbestimmung daraus geworden."

"Es gefällt mir, Menschen zu unterstützen"

Über dieses Recht mitzubestimmen und zu -gestalten, wacht Werkstattrat Paul Moll sehr genau und selbstbewusst. Es komme vor, so erzählt er im Interview, dass Kollegen untereinander versuchten, die Gutmütigkeit Einzelner auszunutzen. "Da gehe ich dann rein und mische mich ein, denn Ausnutzen geht gar nicht!" Auch bei Stress zwischen Kolleginnen und Kollegen, ist er zur Stelle, hört sich an, was beide Seiten zu sagen haben und vermittelt. "Es gefällt mir, die Menschen zu unterstützen", sagt Paul Moll, der bereits seit zehn Jahren als Werkstattrat tätig ist.

Nur eines nervt ihn: "Wenn wir immer weiter diskutieren und keine Lösung finden." Das geschieht bisweilen im achtköpfigen Werkstattrat. Ein Teil stimme neuen Ideen und Beschlüssen der Werkstattleitung zu, ein anderer nicht. "Aber wir arbeiten daran, dass die Teamarbeit besser wird."

Unterstützung kann er sich dafür auch von einer Vertrauensperson holen, erklärt Petra Welzel. Das sind Fachkräfte der Werkstatt, die den geistig, körperlich, psychisch oder schwerst-mehrfach behinderten Menschen bei der Arbeit im Werkstattrat helfen. Bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte NRW gibt es kollegiale Unterstützung. 

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Wechsel aus der Werkstatt schwierig

Insgesamt arbeiten in NRW laut Landessozialministerium etwa 98.000 Menschen in rund 100 Werkstätten. Viele haben auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum eine Chance. Den Wechsel schafften im vergangenen Jahr laut NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann nur etwa 2.000 Beschäftigte.

Dennoch sieht das Inklusionsbarometer für 2020 der "Aktion Mensch" die Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchaus positiv. Immerhin ist die Zahl der erwerbstätigen Menschen mit Behinderung in den vergangenen Jahren stetig auf bundesweit etwa eine Million gestiegen. 

Doch viele der Integrationserfolge in den ersten Arbeitsmarkt werden durch die Corona-Pandemie zunichte gemacht. Allein im Oktober stieg die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderung um mehr als 20.000 auf über 173.000. Der Lichtblick: Menschen mit Behinderung haben ihren Arbeitsplatz  im Verhältnis seltener verloren als Arbeitnehmer ohne Behinderung. Die Studie erklärt es damit, dass sie seltener in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Zum anderen greift der besondere Kündigungsschutz, der zu den Rechten gehört, die der Gesetzgeber dieser Gruppe von Arbeitnehmern zuspricht. Eine Kündigung darf auf dem ersten Arbeitsmarkt erst dann ausgesprochen werden, wenn das Integrationsamt zuvor zugestimmt hat. 

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Aus Alt mach Neu: Im Integrationsbetrieb "Fairhaus" der Diakonie Düsseldorf werden Shoppingtaschen aus alten Oberhemden verkauft.  Leiter Michael Wirtz ist stolz auf die Arbeit seiner Mitarbeitenden.

Seltener arbeitslos, dafür länger

Grund zur Sorge besteht dennoch. Viele Menschen mit Behinderung arbeiten auch in rund 300 Inklusionsbetrieben in NRW, deren Existenz nun durch die Corona-Krise bedroht ist. Schließlich sind die Inklusionsfirmen zu mehr als der Hälfte in Branchen angesiedelt, die besonders hart von der Pandemie getroffen sind wie Hotellerie, Gastronomie oder Catering. 

Wenn Menschen mit Behinderung arbeitslos werden, haben sie weitaus größere Schwierigkeiten, wieder eine neue Stelle zu finden – insbesondere auf dem ersten Arbeitsmarkt. Den Grund dafür nennt die Studie ebenfalls: Viele Arbeitgeber, vor allem in der Privatwirtschaft, fühlen sich unsicher im Umgang mit Menschen mit Behinderung. "Da ist noch viel Luft nach oben", kritisierte der Sozialminister jüngst auf der Hauptversammlung der Diakonie RWL. Die Diakonie RWL wird sich weiter dafür einsetzen, dass sich der Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung öffnet – auch und gerade in krisenhaften Zeiten.

Text: Angela Rietdorf/ Sabine Damaschke

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Behinderung und Teilhabe