Förderschulen in der Pandemie
War das jetzt ein zustimmendes Lächeln oder ein abweisendes Naserümpfen? Haben die Schülerinnen und Schüler wirklich verstanden, was sie machen sollen, langweilen sie sich oder werden sie langsam wütend? Nirgendwo sonst sind Mimik und Gestik so wichtig wie im Unterricht an den Förderschulen. Kein Wunder, dass die Rektorinnen Christina Knapstein und Britta Berentzen über die nordrhein-westfälische Maskenpflicht im Unterricht besorgt waren. Zwei Wochen nach dem Schulstart sind sie zuversichtlicher.
Christina Knapstein leitet den Förderschulverbund des Neukirchener Erziehungsvereins.
"Für unsere Pädagoginnen ist es nicht einfach, mit Maske zu unterrichten, aber sie kennen ihre Schüler zum Glück gut", sagt Christina Knapstein, die den Förderschulverbund des Neukirchener Erziehungsvereins leitet. "Das hilft ihnen jetzt zu sehen und zu spüren, wenn die Kinder und Jugendlichen dem Unterricht nicht folgen können oder wollen."
Der Großteil der rund 630 Schülerinnen wird mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt "Emotionale und soziale Entwicklung" unterrichtet.
Kaum Probleme mit der Maske
Britta Berentzen, Leiterin des Förderschulverbundes der Evangelischen Stiftung Hephata, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Von ihren rund 310 Schülern haben die meisten eine geistige Behinderung. "Wir waren erstaunt, wie selbstverständlich das Maskentragen, Händewaschen und Abstand halten für alle ist", sagt sie. Nur wenige seien dabei, die die neuen Hygieneregeln überhaupt nicht verstünden und daher vom Maskentragen befreit seien.
Unterricht mit Maske – für die Förderschüler der Evangelischen Stiftung Hephtata ist das bislang kein Problem.
In der Regel gibt es an den Förderschulen kleine Klassen mit maximal 13 Schülerinnen, einem Sonderpädagogen und einer Erzieherin. Je nach Förderbedarf kann die Lerngruppe sogar noch kleiner sein – bis hin zu Einzelbeschulungen. Das macht es – im Gegensatz zu den großen allgemeinbildenden Schulen – meist leichter, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Doch die Klassenräume sind meist kleiner und die Schulkonzepte sehen mehr klassenübergreifendes und altersgemischtes Lernen vor.
Schmerzlicher Verzicht auf gemeinsame Projekte
"Unsere Schulform lebt von der Durchmischung und gemeinsamen Projekten", betont Britta Berentzen. "Daran haben wir viel und erfolgreich gearbeitet. Das fällt nun alles weg." Ob handwerkliche Tätigkeiten, Sport, die Arbeit im schuleigenen Garten oder der Brötchendienst der Schülerfirma – alle Projekte außerhalb der eigenen Klasse können die Schülerinnen nicht mehr wahrnehmen. Um die Infektionsgefahr so gering wie möglich zu halten, müssen sie den ganzen Schultag inklusive der Pausen in einer Gruppe mit einem oder zwei Pädagogen bleiben.
Auszeit vom Unterricht - Derzeit ist das "Werkeln" für Schüler mit emotionalen Schwierigkeiten nur alleine möglich.
Unterschiedliche und altersgemischte Lerngruppen – je nach kognitiver Leistung oder Interesse – sind nicht mehr möglich. Auch deeskalierende Maßnahmen, weil Kinder und Jugendliche Probleme mit Aggressionen oder Ängsten haben, gestalten sich nun schwieriger. "Wir haben Kinder, die wir regelmäßig aus dem Unterricht nehmen, damit sie ruhiger werden und sich besser konzentrieren können", erzählt Christina Knapstein. "Sie werkeln oder toben dann mit anderen Schülern und Pädagogen in unserem Werk - oder Bewegungsraum." All das müssten die Pädagogen nun in ihren Klassen selbst regeln.
"Alle sind froh, wieder hier zu sein"
Eine schwierige pädagogische Situation, mit der alle an den Förderschulen erstmal zurechtkommen müssen. Dennoch seien die Mitarbeitenden glücklich über den Schulstart gewesen, betont Britta Berentzen. "Alle sind froh, wieder hier zu sein, denn das Homeschooling der vergangenen Monate war belastend. In unserer Schulform ist ein anschaulicher, lebenspraktischer Unterricht mit einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Pädagogen und Schülern wichtig für den Lernerfolg. Online geht das nur bedingt."
Britta Berentzen leitet den Förderschulverbund der Evangelischen Stiftung Hephata. Sie engagiert sich auch als Fachverbandsvorsitzende bei der Diakonie RWL.
Gut die Hälfte der Förderschüler, die in der Stiftung Hephata und im Neukirchener Erziehungsverein beschult werden, lebt bei den Eltern. Die andere Hälfte wohnt in Gruppen der Jugend- und Behindertenhilfe. Wie an den anderen Schulen auch, haben die Pädagogen Lernmaterialien an die Eltern oder Erzieher in den Wohngruppen per Mail oder Messengerdienst geschickt. Doch viele Unterrichtsmaterialien bestehen aus Gegenständen. "Sie wurden dann per Post zugeschickt oder persönlich abgegeben", sagt Britta Berentzen.
Homeschooling mit vielen Handicaps
Häufig war aber noch weitere Unterstützung der Familien gefragt. "Es gab Eltern, die haben in der Schule angerufen, weil ihre Kinder die Isolation zuhause kaum ausgehalten und vor Frust ihr Zimmer verwüstet haben", erzählt Christina Knapstein. Die Pädagogen hätten dann Erziehungstipps am Telefon oder im Garten gegeben oder seien auch mal für einen längeren Spaziergang mit ihren Schülern vorbeigekommen.
Das Lernen zuhause statt in der Schule hat bei manchen Schülern Rückschritte in ihrer Entwicklung zur Folge, befürchten die Schulleiterinnen. (Foto: pixabay)
Die Schulleiterinnen sind überzeugt, dass sich die Pandemie nachhaltig auf ihre Schüler ausgewirkt hat. "Noch können wir nicht genau sagen, ob unsere Schüler Rückschritte in ihrer geistigen und emotionalen Entwicklung gemacht haben", sagt Britta Berentzen. "Aber ich denke, das wird in einigen Fällen so sein."
Umso wichtiger finden es beide Rektorinnen, dass eine zweite Infektionswelle mit weiteren Schulschließungen verhindert wird. "Unsere Kinder und Jugendlichen haben schon so viele Ängste, Ausgrenzungen und Versagen an allgemeinbildenden Schulen erlebt", betont Christina Knapstein. "Sie brauchen einen strukturierten Schulalltag mit Lehrern und Pädagogen, denen sie vertrauen und die sie ermutigen."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: Neukirchener Erziehungsverein, Evangelische Stiftung Hephata
Behinderung und Teilhabe
Beim Neukirchener Erziehungsverein werden an vielen verschiedenen Standorten im Kreis Wesel rund 630 Kinder und Jugendliche mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt "Emotionale und soziale Entwicklung" und/oder "Lernen" von knapp 140 und etwa 60 weiteren Pädagogen in zwei Schulen unterrichtet. Das Spektrum ist breit gefächert: Schule findet hier zum Beispiel in Heilpädagogisch-Therapeutischen-Tagesgruppen statt oder in sogenannten Projektklassen, in denen eine Lehrerin und eine Erzieherin im Team die Klasse leiten, bis hin zur Distanzbeschulung, bei der Schüler vornehmlich in individualpädagogischen Projektstellen im In- und Ausland fern beschult werden.
Die Evangelische Stiftung Hephata hat eine Förderschule mit zwei Standorten in Mönchengladbach, an der 134 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung" sowie 80 mit dem Schwerpunkt "Emotionale und soziale Entwicklung" von rund 70 Sonderpädagogen unterrichtet werden. Hinzu kommen Sozial- und Erlebnispädagogen und Schulsozialarbeiter. Eine weitere Förderschule mit dem Schwerpunkt "Geistige Entwicklung" gibt es in Mettmann. Dort unterrichten etwa 40 Sonderpädagogen 103 Schülerinnen und Schüler.