AstraZeneca Impfstopp
Der Frust ist wieder da. Nach Monaten voller Sorge und Ängste, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, waren die Impftermine für die Beschäftigten der Altenbochumer und der Märkischen Werkstätten ein Lichtblick. "Ich habe mich sehr für unsere 870 Beschäftigten gefreut", sagt Christoph Pasch, Geschäftsführer des Studjo, so der Name der beiden zusammengeschlossenen Werkstätten des Evangelischen Johanneswerks. Die Impfbereitschaft habe bei den Mitarbeitenden mit und ohne Behinderung bei 95 Prozent gelegen.
"Wochenlang haben wir über die Impfungen aufgeklärt, immer wieder erklärt, dass AstraZeneca ein hochwirksamer Impfstoff ist." Die Speisesäle in den beiden Werkstätten wurden für die Impftermine vorbereitet. Impfeinwilligungen und Anamnesebögen ausgefüllt und gesammelt. Und dann der plötzliche Impfstopp. "Ich frage mich schon, wie viel Vertrauen dadurch verloren geht."
Ein Pieks: Jutta Boltjes arbeitet in der Diakonie Werkstatt Hubertusstraße/Recklinghausen. Sie gehörte zu den Ersten, die geimpft wurden. (Foto: Diakonisches Werk Recklinghausen)
Impfen in der Werkstatt
Noch einmal ganz von vorne anfangen, das müssen auch die Recklinghäuser Werkstätten. 170 Beschäftigte haben dort bereits ihre erste Impfung erhalten. "Das war ein enormer logistischer Aufwand", erzählt Leiterin Heike Strototte. An einem Standort wurde geimpft, neun weitere sollten jetzt folgen. "Bei uns sind nach dem Aussetzen der Folgetermine für die Zweitimpfung alle Emotionen dabei: Von Enttäuschung über Verständnis bis hin zur Erleichterung, dass noch einmal ganz genau hingeschaut wird, ob die bekannt gewordenen Thrombosen wirklich im Zusammenhang mit der Impfung stehen", so Strototte.
Alle geimpften Beschäftigten hätten die erste Dosis gut überstanden. Insgesamt gebe es wenig Unruhe nach dem Impfstopp. "Wir arbeiten in Werkstätten und gehen das entsprechend hemdsärmelig an. Wir machen weiter, packen's an und lassen das mit einer großen Portion Zuversicht auf uns zukommen."
Gefüllte Intensivstationen: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor einer Überlastung der Kliniken. Planbare Operationen würden bereits verschoben.
Hotspot im Märkischen Kreis
Seit Wochen steigen die Corona-Infektionen in Deutschland wieder an. Besonders betroffen ist der Märkische Kreis mit einer Inzidenz von 150 pro 100.000 Einwohner. "Wir machen regelmäßige Reihentestungen", sagt Christoph Pasch. Bei der letzten wurde bei drei Menschen das Virus nachgewiesen. "Die Impfung wäre gerade hier eine Entlastung für uns gewesen. Wir hätten gewusst, dass die Menschen geschützt sind", so Pasch.
Auch die Lungenklinik Hemer des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes fürchtet, dass es ohne schnelle Impfungen und einen schärferen Lockdown zu einem rapiden Anstieg schwerer Corona-Erkrankungen im Hochinzidenzgebiet des Märkischen Kreises mit der britischen Mutante B1.1.1.7 kommt. Eigentlich hätten weitere Mitarbeitende in dieser Woche mit AstraZeneca geimpft werden sollen. Gegen den Impfstoff habe es zum Glück kaum Vorbehalte gegeben, sagt Klinikleiter Torsten Schulte, weder im Hinblick auf die Wirksamkeit noch auf mögliche Nebenwirkungen.
Mit Aufklärungskampagnen gegen die Impfskepsis: Dennis Goebel, Vorstand der Stiftung kreuznacher diakonie, musste die Mitarbeitenden erst von AstraZenica überzeugen. (Foto: Stiftung kreuznacher diakonie)
Werben für AstraZeneca
Anders sah das im Klinikum der Stiftung kreuznacher diakonie aus. "Die Impfbereitschaft war bei AstraZeneca anfänglich eher gering", berichtet Vorstand Dennis Göbel. "Wir haben durch interne Schulungs- und Aufklärungskampagnen dafür gesorgt, dass sie zwischenzeitlich wieder bei bis zu 90 Prozent lag." Goebel befürchtet, dass die Verunsicherung unter den Mitarbeitenden nun wieder deutlich ansteigen wird.
Elke Grothe Kühn, die bei der Diakonie RWL für die evangelischen Kliniken zuständig ist, hält den Impfstopp für fatal. Natürlich sei es richtig, dass AstraZeneca gründlich überprüft werde. "Aber wir befinden uns in der dritten Welle einer gefährlichen Pandemie und können uns einen Verzug der Impfungen nicht leisten."
Ähnlich sieht das Tim Rietzke, Leiter des Geschäftsfelds Familie und junge Menschen. "Ich finde es wichtig, die Impfungen schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Jeder Tag, den wir verlieren, ist ein Tag mit weiteren Infizierten und schlimmstenfalls weiteren Toten." Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe seien die Impfungen enorm wichtig. "Ohne einen direkten persönlichen Kontakt zwischen den Kindern und den Mitarbeitenden funktioniert die Arbeit nicht." Der einzige wirksame Schutz für Kinder und die Erzieherinnen und Erzieher seien flächendeckende und schnelle Impfungen.
Spritze aufziehen: Eine Ärztin bereitet in den Recklinghäuser Werkstätten den AstraZeneca-Impfstoff vor. (Foto: Diakonisches Werk Recklinghausen)
Schnell entscheiden, wie es weitergeht
Bislang wurden laut Robert Koch-Institut in Deutschland mehr als 1,6 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs verabreicht, bei insgesamt rund 9,4 Millionen Erst- und Zweitimpfungen. Nach dem Stopp rechnet das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Vereinigung nun mit deutlichen Verzögerungen im Impfzeitplan – und zwar um mindestens einen Monat.
"Wir brauchen jetzt von der Politik eine rasche Entscheidung, ob der Impfstoff weiterhin einsetzbar ist", fordert Andreas Zeeh, Leiter des Zentrums Teilhabe, Inklusion und Pflege. Die meisten Bewohner der Seniorenheime seien mittlerweile zwar geimpft, so Zeeh. "Aber was ist mit den Mitarbeitenden in der ambulanten Pflege? Wir müssten jetzt dringend diejenigen impfen, die täglich mit Risikogruppen in Kontakt stehen. Da kommt es auf jeden Tag an!"
Sehnsucht nach einer Zusammenarbeit ohne Maske: Die Werkstätten hoffen auf einen neuen Impfstart. (Foto: Shutterstock)
Hoffen auf neuen Impfstart
Bis es mit den Impfungen weiter gehen kann, heißt es extrem vorsichtig sein, Abstand halten, Masken tragen, lüften und regelmäßig testen. Nicht in allen Bereichen gibt es eine ausreichende Zahl an Schnelltests, kritisiert Kita-Expertin Sabine Prott.
"Wichtig ist jetzt umso mehr, dass die Beschäftigten in den Kitas weiterhin wöchentlich zwei kostenlose Testungen wahrnehmen können. Sehr hilfreich wäre auch, wenn ihnen zertifizierte Selbsttests zur Verfügung gestellt würden."
In der Altenbochumer Werkstatt sind die Beschäftigten erleichtert: Ab der kommenden Woche wird mit dem Moderna-Impfstoff geimpft. "Das sind richtig gute Neuigkeiten", sagt Christoph Pasch vom Evangelischen Johanneswerk. Er hofft, dass die Werkstätten jetzt auch mit ihrer Forderung nach der Impfung von Angehörigen, die Werkstattsbeschäftigte mit schweren Behinderungen zu Hause pflegen, bei den Politikerinnen und Politikern durchdringen. "Das würde unsere Werkstätten um einiges sicherer machen." Heike Strototte vom Diakonischen Werk Recklinghausen betont, ihre Einrichtungen hätten aus eigener Kraft ein komplettes "Werkstatt-Impfzentrum" aufgebaut. "Das war eine enorme Leistung. Ich finde, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um das auch mal anzuerkennen."
Text: Ann-Kristin Herbst und Sabine Damaschke
Die Recklinghäuser Werkstätten der Diakonie im Kirchenkreis Recklinghausen
Die Lungenklinik Hemer
Die Stiftung kreuznacher diakonie
Dossier: Corona-Impfungen in der Diakonie RWL
Corona-Virus: Wichtige Hinweise für diakonische Träger und Einrichtungen
Behinderung und Teilhabe
Als Reaktion auf den vorläufigen Stopp der Corona-Schutzimpfungen mit dem Vakzin von Astra-Zeneca stellt das Land NRW ab sofort 150.000 bislang zurückgehaltene Impfdosen der Firmen Biontec/Pfizer und Moderna zur Verfügung. Mit den Dosen sollen vor allem die Über-80-Jährigen in den Impfzentren und die behinderten Menschen in den Eingliederungseinrichtungen geimpft werden, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag in Düsseldorf. Die Impfdosen stammen aus einer Reserve, die das Land NRW für Zweitimpfung mit den beiden Vakzinen vorgesehen hatte. Die geplanten Impfungen für Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertageseinrichtungen sowie für Lehrkräfte werden dagegen bis auf weiteres ausgesetzt. Die Impfdosen sollen bis Ende März verabreicht werden. (epd)