19. März 2018

Paten für Ausbildung

Mutmacher auf dem Weg ins Berufsleben

Der Arbeitsmarkt brummt und manche Betriebe suchen händeringend Nachwuchs. Dennoch finden in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr Tausende Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Die Freiwilligenagentur der Diakonie im Rhein-Sieg-Kreis vermittelt deshalb ehrenamtliche Paten an Schüler, die Hilfe beim Übergang ins Arbeitsleben brauchen.

Portrait

Selbstbewusster und zielstrebiger: Anna-Lena weiß heute, was sie will.

Anna-Lena fühlte sich orientierungslos, als sie gegen Ende ihrer Realschulzeit über einen künftigen Beruf nachdenken sollte. "Ich hatte mir nie so richtig Gedanken gemacht, was als Nächstes kommt", sagt die Schülerin. Und dann waren da auch noch Schwächen in Englisch und eine Fünf in Mathe. Dennoch schloss die heute 17-Jährige die Realschule schließlich erfolgreich ab.

Aus der Fünf in Mathe war eine Drei geworden. Und sie weiß jetzt genau, in welche Richtung es beruflich gehen soll. Zu verdanken habe sie das ihrem Paten Uwe Gessel, sagt die junge Frau: "Ohne ihn hätte ich nicht das gefunden, was mir entspricht."

Mädchen und älterer Mann schauen in ein Buch

Anna-Lena und Pate Uwe Gessel sind ein eingespieltes Team.

Zusammenarbeit mit Schulen

Uwe Gessel und Anna-Lena sind eines von 32 Patenschafts-Tandems des Projekts Paten für Ausbildung (PfAu) der Freiwilligenagentur für den Rhein-Sieg-Kreis unter dem Dach des Diakonischen Werks an Sieg und Rhein. Zusammengebracht werden die Tandems durch die Kooperation mit mehreren Real-, Haupt- und Förderschulen im rechtsrheinischen Teil des Rhein-Sieg-Kreises. So war es auch bei Anna-Lena. Als die Klassenlehrerin ihr anbot, an dem Patenschafts-Programm teilzunehmen, griff die Schülerin sofort zu.

In den elf Jahren seit der Gründung des Projekts gegen Jugendarbeitslosigkeit betreuten die ehrenamtlichen PfAu-Paten rund 240 Schülerinnen und Schüler. "Sie zeigen ihnen Perspektiven auf und unterstützen sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz", erklärt Projekt-Koordinatorin Michaela Harmeier.

Portrait

Diakonie RWL-Arbeitsmarktexpertin Ina Heythausen wünscht sich, dass das Teilhabechancengesetz in bestimmten Fällen auch eine unbefristete Förderung ermöglicht.

Job-Boom kommt nicht bei benachteiligten Jugendlichen an

Für viele Jugendliche ist das eine entscheidende Hilfe. "Insbesondere benachteiligte Jugendliche brauchen dringend Unterstützung beim Übergang von der Schule in den Beruf", sagt Ina Heythausen, Referentin für Arbeitsmarktpolitik bei der Diakonie RWL.

Denn bei dieser Gruppe kommt die gute Lage am Arbeitsmarkt nicht an. Landesweit kommen auf 100 arbeitssuchende Jugendliche lediglich 81 Ausbildungsplätze. Aktuell suchen laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit in NRW noch mehr als 7.000 Schulabgänger aus dem Ausbildungsjahr 2017 eine Lehrstelle. Hinzu kommen diejenigen, die mangels Alternative zunächst einen Job aufgenommen haben oder weiter zur Schule gehen, aber nach wie vor eine Ausbildung anstreben.

Verlierer sind vor allem Hauptschüler, von denen laut Bertelsmann Stiftung nur jeder Zweite einen direkten Einstieg in die Ausbildung findet. Auch Jugendliche ohne Abschluss, mit Lernschwächen oder mit ausländischem Pass haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Für sie werde nicht genug getan, kritisiert Heythausen. Die Landesregierung fördere zwar Maßnahmen zur Berufsorientierung für alle Jugendlichen. "Benachteiligte Jugendliche, die von ihren Eltern nicht unterstützt werden, brauchen aber mehr und kontinuierlicher Hilfe als andere." Um die Probleme am Ausbildungsmarkt zu mildern, ist für Heythausen eine regionale Netzwerkarbeit entscheidend, in der Schulen, Eltern, Sozialpädagogen und Firmen vor Ort langfristig zusammenarbeiten.

Schultafel mit Aufschrift "Erfolg"

Patenschaften, die mehrere Jahre dauern: Das macht den Erfolg des Projekts aus. (Foto:  S. Hofschläger/pixelio.de)

Gemeinsam Stärken herausarbeiten

Genau hier springen die Paten des Projekts PfAu ein. Sie begleiten die Jugendlichen oft mehrere Jahre und seien weit mehr als Nachhilfelehrer in Sachen Ausbildungssuche, sagt Harmeier. "Die Paten sind oft auch Vorbild und Mutmacher." Als Uwe Gessel vor zwei Jahren die Patenschaft über Anna-Lena übernahm, half der studierte Chemiker ihr zunächst einmal, ihre Leistungen in Mathe und Englisch zu verbessern. Er zeigte ihr zudem, wie sie am besten Vokabeln paukt, wo es im Internet gute Lernseiten gibt und welche Bücher oder Nachschlagewerke weiterhelfen.

Ganz entscheidend waren und sind für Anna-Lena allerdings die vielen ausführlichen Gespräche mit ihrem Paten. Gemeinsam arbeiteten sie Anna-Lenas Stärken heraus. "Ich habe mich dadurch selbst viel besser kennengelernt", sagt die Schülerin. Nachdem der Realschulabschluss mit Unterstützung des Paten gut geschafft war, wechselte sie zunächst an ein Berufskolleg mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziales. Mittlerweile hat sie ihren Wunschberuf fest im Blick: Nach dem Fachabitur möchte Anna-Lena eine Ausbildung zur Orthopädietechnikerin machen.

Zwei Menschen sitzen am Tisch und schauen in ein Buch

Nicht nur pauken, sondern auch etwas erleben: Uwe Gessel geht mit Anna-Lena auch ins Museum.

Paten werden geschult und begleitet

Für Uwe Gessel ist Anna-Lena bereits seine vierte Patenschaft im PfAu-Projekt. Schon während seines Arbeitslebens hatte der Rentner in seinem Unternehmen mit der Ausbildung Jugendlicher ohne Schulabschluss zu tun. "Bis auf eine Ausnahme haben wir damit gute Erfahrungen gemacht." Durch einen Zeitungsartikel wurde Gessel auf PfAu aufmerksam und fühlte sich gleich angesprochen. Auf seine Aufgabe vorbereitet wurde er wie alle Paten durch einen eintägigen Workshop. Außerdem lädt die PfAu-Koordinatorin die Paten zu regelmäßigen Treffen ein, bei denen Probleme besprochen werden können.

Gessel hat die Erfahrung gemacht, dass es guttut, mit den Jugendlichen nicht nur am Tisch zu sitzen. "Ich gehe mit ihnen auch mal raus. Was für interessante Gespräche da oft zustande kommen!" So stellte sich zum Beispiel heraus, dass Anna-Lena sich für die Zeit des Nationalsozialismus interessiert. Gessel besuchte deshalb mit ihr das NS-Dokumentationszentrum in Köln und sogar das Anne Frank Museum in Amsterdam. Sie sei dankbar für das, was ihr Pate ihr ermöglicht habe, sagt Anna-Lena. "Ohne ihn wäre ich nicht auf die Idee gekommen, in ein Museum zu gehen." 

Text und Fotos: Claudia Rometsch

Ihr/e Ansprechpartner/in
Ina Heythausen
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration