1. Juni 2017

Diakonie gegen Armut

"Heldentaten" - Zweite Chance für Schulabbrecher

Aus der Schule geflogen, Drogen genommen, im Knast gesessen - Jugendliche, die im Wuppertaler Projekt "Heldentaten" eine zweite Chance bekommen, gehören zu den schwer vermittelbaren Auszubildenden. Beim diakonischen Beschäftigungsträger GESA lernen sie für ihren Schulabschluss und stellen Holz- und Metallprodukte her.  So finden sie aus dem Kreislauf der Armut heraus.

Portrait

Tamer und Anleiter Frank Zielauf (v.l.) mit der Waschtrommel, die als Feuerschale dient

Zwei Schrauben muss Tamer noch in die Waschtrommel drehen. Dann ist die Feuerschale für den Garten, ein originelles Upcycling-Produkt aus der "Heldentaten"-Werkstatt, fertig. Eine Werkbank weiter schraubt Stefan an einem weißen Kinderhocker herum. "Ich arbeite am liebsten mit Holz", erzählt er. "Auf dem letzten Weihnachtsmarkt haben wir viele Sachen aus unserer Werkstatt verkauft. Das war echt cool."

Als "Helden" würden sich die beiden 18- und 17-jährigen Jugendlichen sicher nicht bezeichnen. Beide haben die Schule geschmissen und kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. Sie gehören zu den rund 50.000 Schülern in Deutschland, die die Schule jedes Jahr ohne einen Abschluss verlassen und kaum Aussichten auf einen Job, geschweige denn eine Lehrstelle haben. 

Portrait

Stolz zeigt Stefan den Hocker, den er gebaut hat

Helden der Arbeit

Die Produktionsschule des Wuppertaler Sozialunternehmens GESA, eine Mitgliedseinrichtung der Diakonie RWL, bietet ihnen nun eine zweite Chance. Und die nutzen sie. Ein Jahr lang lernen Tamer und Stefan hier gemeinsam mit 12 anderen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren wichtige Grundlagen der Metall- und Holzverarbeitung. Außerdem können sie ihren Schulabschluss nachholen. Regelmäßig stehen sie dafür von acht bis fünf Uhr in der Produktionsschule. An zwei Tagen besuchen sie das Berufskolleg.

"Die meisten Jugendlichen aus der Heldentaten-Produktionsschule kommen aus bildungsfernen Familien, die seit Jahren Hartz IV beziehen oder sich mit prekären Jobs über Wasser halten", erklärt Matthias Jacobstroer, GESA-Geschäftsleiter für Personal, Finanzen und Recht. "Da ist es schon eine echte Leistung, wenn sie nicht bis mittags schlafen, sondern hier um acht Uhr auf der Matte stehen."

Gruppenbild

Spaß muss sein: Frank Zielauf und Lene Peitzner mit dem Produktionsschlager Feuerschale

Keine Produktion für den Papierkorb

Nicht immer gelingt das. Doch Lene Peitzner, die pädagogische Betreuerin, und Tischlermeister Frank Zielauf arbeiten geduldig daran, dass ihre Schüler sich an eine feste Tagesstruktur, Pünktlichkeit und klare Regeln gewöhnen. Dazu gehört auch eine Streitkultur, die ohne verbale Ausfälle und Gewalt auskommt. "Die Jugendlichen lernen schnell, dass wir hier ein Team sind", sagt die 27-jährige Diplompädagogin. "Sie arbeiten gemeinsam an den Produkten, die wir in der Werkstatt herstellen, und gehen in eine Klasse in der Berufsschule. Das schweißt zusammen."

Die jungen Leute produzieren nichts für den Papierkorb. Das sei ein entscheidender Grund, weshalb sie sich stark mit der handwerklichen Arbeit identifizierten und Ehrgeiz entwickelten, meint Zielauf. Viele Produkte entstehen aus Elektroschrott, etwa die Feuerschale für den Garten. Sie besteht aus einer Waschmaschinentrommel mit drei abgekanteten, zinkfarbenen lackierten Beinen. Zum Verkaufsschlager hat sich ein Kratzbaum für die Katze entwickelt, der aus einer mit einem Sisalteppich überzogenen Waschmaschinentrommel gefertigt ist. Doch auch die beleuchteten Metalltische, die Holzhocker mit verschiedenen Motiven und Kerzenständer verkaufen sich gut.

Jugendliche schrauben gemeinsam

Teamarbeit in der Werkstatt

Ohne Schulabschluss keine Lehrstelle

"So erfolgreich unsere Heldentaten-Teilnehmer handwerklich auch sind, sie wissen genau, dass sie ohne einen Schulabschluss keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben", erklärt der 46-jährige Tischlermeister. Damit sie ihr Ziel einer Berufsausbildung auch erreichen, unterstützt Lene Peitzner die Jugendlichen dabei, ihren Schulabschluss nachzuholen. Sie begleitet sie in die Berufsschule, hilft ihnen bei den Hausaufgaben und der Vorbereitung auf Klassenarbeiten.

"Ich komme jetzt viel besser klar", meint Tamer. Er hat mittlerweile so gute Noten, dass er seinen Hauptschulabschluss schaffen wird. Gerade hat er sich mit Hilfe der 27-jährigen Diplompädagogin erfolgreich um ein Praktikum bei einem Metallbauer beworben. "Wenn ich gut bin, wollen die mir sogar einen Ausbildungsplatz anbieten", erzählt er stolz. Ob Stefan schon in diesem Schuljahr seinen Abschluss schafft, weiß er nicht. 

Lene Peitzner steht mit einem Jungen am Werktisch und schaut in ein Buch

Werkstattgespräche: Lene Peitzner hilft bei den Hausaufgaben

Doch niemand verlasse die Heldentaten-Produktionsschule ohne eine Perspektive, beruhigt ihn Lene Peitzner. "Wer nicht weiter zur Schule geht oder eine Lehrstelle findet, erhält einen Platz in einer anderen berufsvorbereitenden Maßnahme." 

Zu wenig Plätze für zu viele Schulabbrecher

Die GESA ist eng vernetzt mit der Handwerkskammer und verfügt über 1.000 Betriebskontakte in der Region. Jedes Jahr betreut sie in über 40 verschiedenen Projekten und Maßnahmen über 1.500 arbeitslose Menschen. In ihren Metall-, Holz- und Elektrowerkstätten bietet sie Jugendlichen unter 25 Jahren 120 Plätze in berufsvorbereitenden Maßnahmen an. Gemessen an der Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in Wuppertal sei das zu wenig, meint Rasmus Tegethoff, GESA-Fachbereichsleiter für Berufsvorbereitung und Ausbildung.

Gruppenbild

Würden die Heldentaten-Produktionsschule gerne ausbauen: Matthias Jacobstroer und Rasmus Tegethoff

Er wünscht sich mehr Projekte wie die "Heldentaten-Produktionsschule" und mehr Lehrstellen, in denen Sozialpädagogen die Jugendlichen während ihrer Ausbildung betreuen. "Das ist für mich der erfolgversprechendste Weg, benachteiligte Jugendliche auf den Arbeitsmarkt zu bringen", betont Tegethoff. "In unserer Produktionsschule sehen wir täglich, wie positiv sie sich mit Hilfe einer individuellen Betreuung entwickeln."

 Text und Fotos: Sabine Damaschke

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