Arbeitslosenreport NRW
Sie haben gut lachen: Flüchtlinge aus dem "Vorteils"-Modellprojekt der low tec
Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt fit zu machen und sie in Ausbildung oder Arbeit zu vermitteln, ist Corinna Bornscheuer-Heschels Job. Wenn sie von den Möglichkeiten spricht, die ihr dafür zur Verfügung stehen, redet sie gerne vom "Fahrrad und Ferrari".
"Mit beiden kann man sein Ziel erreichen, aber der Weg ist mit dem Fahrrad mühsamer und länger", sagt die Sozialpädagogin. Sie und ihre Mitarbeiterinnen betreuen bei der diakonischen Beschäftigungsgesellschaft low-tec in Aachen und Düren knapp 200 geflüchtete Menschen.
Zwei Drittel werden in der 16-wöchigen Aktivierungsmaßnahme "PerF-Perspektive für Flüchtlinge" auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet. Was dem "Fahrrad" entspricht. Ein Drittel darf im "Ferrari" sitzen, dem einjährigen Modellprojekt "Vorteil Aachen-Düren". Für die Teilnahme an diesem vom Bundesarbeitsministerium und Europäischen Sozialfonds geförderten Projekt müssen sich die Flüchtlinge bewerben.
Corinna Bornscheuer-Heschel leitet die Flüchtlingsprojekte bei der low-tec
Wege in Ausbildung oder Arbeitslosigkeit
Rund achtzig Prozent von ihnen vermittelt die low-tec nach einem intensiven Jahr der Berufsvorbereitung, des Deutsch- und Fachunterrichts und der Praktika in verschiedenen Betrieben in eine Ausbildung.
Danach werden sie noch weiterbetreut, damit sie auch in der Berufsschule zurechtkommen. "Ohne intensive Begleitung scheitern hier viele Flüchtlinge", beobachtet die Sozialpädagogin. "Schon die Multiple Choice-Tests mit ihren sprachlichen Feinheiten sind eine sehr hohe Hürde."
Hinzu kommen kulturelle Verschiedenheiten in der Arbeitswelt, die gelernt und verinnerlicht werden müssen. Etwa, dass der Chef selbstständiges Arbeiten erwartet und es in Deutschland nicht als höflich, sondern träge gilt, immer erst auf den nächsten Auftrag des Vorgesetzten zu warten. Dass Männer Frauen die Hand schütteln, man Kollegen zum Geburtstag gratuliert und es in vielen Firmen kritisches Feedback gibt.
Flüchtlinge in der Ausbildungswerkstatt der low-tec
Die 16-wöchigen Maßnahmen enden nach Bornscheuer-Heschels Erfahrung dagegen häufig in der Arbeitslosigkeit und weiteren Fördermaßnahmen. Mittlerweile sind in NRW über 58.000 anerkannte Asylbewerber aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien arbeitslos gemeldet.
Darauf weist der aktuelle Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW hin. Rund 38 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Knapp 142.000 geflüchtete Menschen aus den genannten Ländern leben von Hartz IV, eine Steigerung von 104 Prozent.
Keine Spezialisten, dafür jung und bildungshungrig
Die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt, auf die Wirtschaft und Politik gehofft hatten, gelingt nur selten. Und wenn doch, finden Flüchtlinge überwiegend Jobs auf Helferniveau. Nur 13 Prozent der geflüchteten Menschen weisen ein Fachkraft- oder Spezialistenniveau nach, so der Arbeitslosenreport NRW. Allerdings fehlen bei vielen auch die entsprechenden Papiere. Dennoch könne von einem großen Bildungspotenzial ausgegangen werden, da 62 Prozent der Menschen jünger als 35 Jahre sind.
Für den Vorsitzenden der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Andreas Johnsen, ist es deshalb wichtig, "strukturiert und engagiert" in die Qualifizierung von jüngeren Arbeitslosen zu investieren. Kurzprogramme können das nicht leisten, meint auch die Arbeitsmarktexpertin der Diakonie RWL, Ina Heythausen. "Sie sind nur ein Beitrag zur ersten Orientierung am deutschen Arbeitsmarkt."
Diakonie RWL-Arbeitsmarktexpertin Ina Heythausen wünscht sich, dass das Teilhabechancengesetz in bestimmten Fällen auch eine unbefristete Förderung ermöglicht.
Erfolgreiche Integration durch Jobcoaches
Doch daran nehmen in NRW 72 Prozent der knapp 25.000 Geflüchteten teil, die derzeit in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen qualifiziert werden. "Wir brauchen längerfristige und an pädagogischen Konzepten ausgerichtete Coachingangebote", betont Ina Heythausen. Es genüge nicht, Flüchtlingen Deutsch- sowie berufliche Fachkenntnisse zu vermitteln. Sie benötigen auch Hilfe in ihrem Alltag. Ina Heythausen wünscht sich deshalb Programme, in denen den Flüchtlingen persönliche Jobcoaches zur Seite gestellt werden.
"Die Menschen haben den Kopf nicht frei, um nur konzentriert die Sprache zu lernen und sich beruflich zu qualifizieren", beobachtet die Diakonie RWL-Referentin. Viele machten sich Sorgen um ihre Familien im Heimatland, litten unter der schwierigen Wohnsituation in den Unterkünften und seien stark in Anspruch genommen von den kulturellen Herausforderungen des täglichen Lebens in Deutschland.
Für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist viel persönliche Betreuung nötig
Beruflich fördern, im Alltag unterstützen
Das beobachtet auch die low-tec. Sie hat fast 1.000 Flüchtlinge im Hinblick auf ihre beruflichen Kompetenzen sprachunabhängig und kultursensibel getestet. Dabei zeigte sich laut Bornscheuer-Heschel, dass viele Geflüchtete trotz ihres hohen Bildungsniveaus im Heimatland nicht die entsprechenden Ergebnisse abrufen können. Den Grund dafür sieht die Sozialpädagogin in den großen psychosozialen Belastungen, denen sie in ihrer Heimat und auf der Flucht ausgesetzt waren.
"Die geflüchteten Menschen müssen so viel Neues lernen und schleppen gleichzeitig so viel Belastendes aus ihrer Heimat mit sich herum", sagt die Sozialpädagogin. "Sie brauchen Zeit und Unterstützung, um das zu bewerkstelligen. Dann gelingt auch die Integration in den Arbeitsmarkt."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: low tec