24. Januar 2014

Krisenbewältigung im Alter

Projekt "Lebenslinien" legt Ergebnisse vor

Viele Suizide älterer Menschen lassen sich verhindern, wenn ältere Menschen in Lebenskrisen sensible Ansprechpartner und bessere Unterstützung finden. Wie eine bessere Krisenhilfe für Ältere organisiert werden kann, hat die Diakonie RWL mit Unterstützung der Stiftung Wohlfahrtspflege in einem dreijährigen Praxisprojekt erprobt. Die Erfahrungen und Ergebnisse wurden nun am 21. Januar auf einer Tagung in Düsseldorf vorgestellt.

Dr. Daniele Grobe, Petra Grobusch, Ulrich Christofczik, Katja Alfing, Franz Müntefering, Günter Garbrecht

"Besonders wichtig sind der Ausbau zugehender Unterstützungs- und Beratungsangebote", erklärte Katja Alfing, Koordinatorin des Projektes bei der Diakonie RWL. Auf die Bedeutung einer besseren palliativen Versorgung verwies ergänzend Ulrich Christofczik, Geschäftsbereichsleiter für Pflege, Alten- und Behindertenarbeit in der Diakonie RWL. Zugleich müsse über die bereits bestehenden Versorgungsstrukturen aufgeklärt werden, um Menschen die Angst vor vermeidbaren Schmerzen am Lebensende zu nehmen.

Praxiserprobungen in Bielefeld, Gelsenkirchen und Hilden

Das Projektteam: Claudia Wernik- Hübner (Hilden), Elke Schubert- Buick (Bielefeld), Jörg Awiszio (Gelsenkirchen), Sigrid Siurzik (Bielefeld), Linda Dieckmann (Münster, Evaluation) und Katja Alfing Projektkoordination. Im Hintergrund als wissenschaftlicher

An drei Standorten - Bielefeld, Gelsenkirchen und Hilden - wurden in dem Projekt Strategien zur Unterstützung älterer Menschen in Krisensituationen entwickelt. Dazu gehören Maßnahmen zur öffentlichen Sensibilisierung für das Thema Krisen und Suizid im Alter, die Entwicklung zugehender Unterstützungsangebote für Ältere und die Vernetzung bestehender Strukturen, zu denen Apotheken, Kirchengemeinden oder Bildungsträger genauso gehören können wie psychosoziale Beratungsstellen.

In einem besonderen Schwerpunkt wurden Qualifizierungsangebote zum sensibleren Umgang mit Anzeichen von Krisen und suizidaler Gefährdung entwickelt. Die Qualifizierungsangebote richten sich besonders an Haupt- und Ehrenamtliche in der Altenhilfe, die in ihrem Alltag häufig mit Äußerungen älterer Menschen zu Lebenskrisen oder zu Suizidgedanken konfrontiert sind. "Viele denken, bevor ich etwas falsch mache, mache ich lieber gar nichts", erklärt Katja Alfing. Es sei aber wichtig, auf solche Äußerungen einzugehen und zuzuhören. Das Qualifizierungsangebot, das in Hilden entwickelt wurde, soll hier mehr Handlungssicherheit vermitteln. 

Mehr Opfer als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, Drogenmissbrauch und AIDS zusammen

"Mit 10.000 Toten in Deutschland durch Suizid werden die Opfer von Verkehrsunfällen, Gewalttaten, Drogenmissbrauch und durch AIDS zusammen übertroffen. Die Anzahl an Suizidversuchen kann auf ein Zehnfaches kalkuliert werden. Auf dieses gravierende Problem hat die Gesundheits- und Präventionspolitik noch keine Lösungsansätze parat", erklärte der Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, Günter Garbrecht (MDL). Umso wertvoller sei das Projekt der Diakonie RWL einzuschätzen. Der Bedarf an präventiven Angeboten und Hilfen sei immens, so Garbrecht. Der vielfach gewünschte Verbleib in der eigenen Häuslichkeit gelinge nur, wenn in den Quartieren soziale Strukturen und bürgerliches Engagement funktionierten.

"Wir brauchen in der Phase akuter Gefährdung mehr Aufmerksamkeit für suizidale Gefährdungen", erklärte Professor Dr. Gereon Heuft, der das Projekt wissenschaftlich begleitet hat. Genauso wichtig sei aber auch, die "Resilienz", die Widerstandskraft von Menschen für Krisen zu stärken. Dazu gehöre besonders auch ein unterstützendes soziales Umfeld.

Professor Dr. Norbert Erlemeier, der das Projekt als Mitglied der Arbeitsgruppe Alte Menschen im Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro)begleitet hat, würdigte den breiten Ansatz des Diakonie-Projektes. Suizidprävention sei eine gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb seien Maßnahmen auf vielen verschiedenen Ebenen nötig.

Franz Müntefering als Gastredner

Gastredner und aktiver Teilnehmer an der gesamten Veranstaltung war Franz Müntefering, der zwei Tage vorher schon bei Günter Jauch gegen aktive Sterbehilfe argumentiert und bessere Unterstützung für Menschen in Krisensituationen gefordert hatte. Bei der Tagung kritisierte Müntefering Medienberichte, in denen es eine Tendenz zur Heroisierung von Menschen gebe, die sich das Leben nehmen. Der Wunsch nach dem schnellen Tod sei vor allem eine Folge der Angst vor dem schmerzhaften Tod. Müntefering kritisierte, dass die "Spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung" (SAPV) in vielen Regionen in Deutschland noch unzulänglich umgesetzt sei. Müntefering regte an, die Heranziehung von Kindern zur Deckung von Pflegekosten ihrer Eltern im Rahmen des "Elternunterhalts" zu überprüfen. Pflegebedürftige alte Menschen hätten oft Angst, ihren Kindern "zur Last zu fallen". Dies würde verstärkt, wenn Kinder von den Sozialhilfeträgern zur Übernahme der Deckungslücke zwischen Leistungen der Pflegeversicherung und realen Pflegekosten verpflichtet würden.

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