Wohnprojekt für Senioren
Günter Möckel vorm Eingang des Wohnprojektes
Wie ist die Idee zu dem Wohnprojekt entstanden?
Vor sieben Jahren haben sich acht Personen aus Mülheim an der Ruhr zusammengeschlossen, die hier in der Umgebung gemeinsam alt werden wollten. Und zwar in einer funktionierenden Nachbarschaft, in der man sich umeinander kümmert und auch gemeinsam etwas unternimmt und erlebt. Schließlich konnte man die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft als Partner für unser Wohnprojekt LiNA "Leben in Nachbarschaft – Alternativ" im Mülheimer Vorort Saarn gewinnen und das alte Pfarrhaus, Haus Senfkorn, nebst angrenzendem Grundstück von der katholischen Kirchengemeinde erwerben. Mit dem angebauten Neubau ist heute genug Platz für 19 Bewohnerinnen und Bewohner. Die Idee war eine Hausgemeinschaft. Im Gegensatz zur Studenten-WG sollte jeder sein eigenes Reich mit Bad und einer eigene Küche haben. Da war man realistisch. Streit um Putzpläne und Ähnliches braucht man im fortgeschrittenen Alter nicht mehr.
Wie sehen die Wohnungen aus, in denen die älteren Menschen leben?
Die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft hat die Wohnungen alle barrierefrei und behindertengerecht gebaut oder umgebaut. Es gibt breite Türen, bei den Duschen keine Stufe und im Flur einen Aufzug. Man findet hier kleine Wohnungen mit 45 Quadratmetern und große mit 100 bis 120 Quadratmetern. Insgesamt wohnen in dem Projekt sechs Paare und sieben Frauen. Wir sind heute alle Mieter bei der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft. Einziehen in das Wohn-Projekt kann nicht jeder. Neue Mitglieder kommen erst einmal zu einem Vorstellungsgespräch und sollen eine gewisse Zeit am Vereinsleben auf Probe teilnehmen. Danach bestimmen alle Bewohner, ob die Interessenten zu unserer Gemeinschaft passen. Wer nur die Tür hinter sich schließen will und sich zurückzieht, passt nicht zu uns. Wir wollen miteinander leben.
Der Gemeinschaftsraum ist ein Treffpunkt für alle Bewohnerinnen und Bewohner.
Was unternehmen Sie gemeinsam?
Unsere "WG-Küche" ist der Gemeinschaftsraum, in dem wir uns treffen. Dort finden viele gemeinsame Aktivitäten und Gespräche statt. Ich biete zum Beispiel den Kurs "bits und bytes" an und beantworte Fragen zum Thema Handy, Tablet und Telefon. Es gibt aber auch noch weitere Kurse, zum Beispiel eine Gartengruppe, eine wöchentliche Walkinggruppe oder auch mal ein spontanes Kaffeetrinken. Wie letztens, als eine Nachbarin spontan einen Pflaumenkuchen gebacken hat und dann in der WhatsApp-Gruppe dazu eingeladen hat. Wir unternehmen gemeinsame Fahrradtouren oder gehen ins Theater. Einer Nachbarin haben wir zum Geburtstag eine Karte zum Konzert von Carlos Santana geschenkt. Das hätte sie alleine nie gemacht. Auch mit der evangelischen Kirchengemeinde vor Ort sind wir eng verbunden. Einige von uns engagieren sich bei der Hausaufgabenbetreuung einer nahegelegenen Grundschule oder arbeiten ehrenamtlich in verschiedenen anderen Projekten.
Gibt es auch mal Unstimmigkeiten unter den Bewohnern?
Klar, im Gemeinschaftsraum muss auch für Getränke gesorgt oder die Spülmaschine ausgeräumt werden. Da haben wir jetzt vereinbart, dass jeden Monat wechselnd eine Bewohnerin oder ein Bewohner verantwortlich ist. Das Putzen des Flures und das Rasenmähen sowie der Winterdienst werden durch eine vom Vermieter beauftragte Firma übernommen. Somit entfallen diese Tätigkeiten für uns. Die Kommunikation miteinander ist uns sehr wichtig. Wenn hier jemand tagelang ein langes Gesicht zieht, fragen wir nach was los ist. Frauen sind da manchmal etwas sensibler und kümmern sich schneller um andere, denen es nicht so gut geht.
In einem alten Pfarrhaus mit Anbau ist das Wohnprojekt entstanden. Heute leben hier 19 Bewohnerinnen und Bewohner.
Und was passiert, wenn jemand ein Pflegefall wird?
Wir wollen uns gegenseitig unterstützen. Aber eine richtige Pflege können wir nicht leisten. Eine Nachbarin war zum Beispiel durch eine OP für fünf Monate auf einen Rollstuhl angewiesen. Da hatten wir vollkommen ungeplant schon die Bewährungsprobe. Abwechselnd haben sich die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner in eine Liste eingetragen und dann am jeweiligen Tag eine zusätzliche Portion Essen mitgekocht. Das war selbstverständlich. Für die Unterstützung, die sie vorübergehend brauchte, kam ein Pflegedienst.
Die Hausgemeinschaft kann zum Beispiel bei der Suche nach einem Pflegedienst helfen und andere organisatorische Dinge übernehmen. Oder wir gehen mit zum Arzt, wenn jemand das wünscht. Derzeit ist die jüngste Bewohnerin 60 und noch berufstätig. Die älteste Bewohnerin ist 78. Wir sind alle fit und froh die Entscheidung rechtzeitig getroffen zu haben hier einzuziehen. Wenn man zu alt ist, bringt man vielleicht die Energie nicht mehr auf.
Es gibt eine Interessentenliste für einen Platz in Ihrem Wohnprojekt. Planen Sie noch weitere Projekte?
Wir feiern in diesem Jahr unser einjähriges Bestehen und beraten immer wieder Interessierte, die ein ähnliches Wohnprojekt initiieren möchten. Es gibt die Idee, hier in Mülheim ein zweites Projekt zu realisieren, und da engagieren wir uns. Für mich war der Einzug hier ein Glücksgriff, auch weil ich mit meiner Partnerin zusammenlebe. Unsere Erfahrungen geben wir gerne weiter.
Das Gespräch führte Sabine Portmann. Fotos: Wohnprojekt LiNA