Tag der Pflege 2023
"Sind sie schon da?", fragt eine 60-jährige Dame neugierig und schiebt den Oberkörper zur Seite, um aus einer anderen Perspektive durch das Fenster zu schauen. "Ich kann sie noch nicht sehen", antwortet eine andere Bewohnerin des Pflegeheims. "Vielleicht wollten sie heute nicht von der Weide", mutmaßt die 60-Jährige und grinst. Sie hat schon einmal einen Alpaka-Besuch erlebt und kennt sich etwas besser mit den Tieren aus. Doch auch sie ist aufgeregt: Heute sind die Alpakas endlich aus ihrer Winterpause zurück. "Ah, da sind sie!", ruft die 60-Jährige, als der Pickup mit dem Anhänger auf den Hof einfährt.
Im Frühling und Sommer besuchen Detlef und Michaela Maluche mit ihren Rheinland-Alpakas regelmäßig das Stammhaus Kaiserswerth der Diakonie Düsseldorf. "Unsere Damen wollten heute erst nicht von der Weide", erzählt Michaela Maluche und führt zwei Tiere in den Rundkreis, in den sich die Bewohner*innen gesetzt haben. Vier Stuten haben sie und ihr Ehemann mitgebracht: Lana, Rapana, Acaja und Lima. Insgesamt hat das Paar 14 Tiere, mit denen es Alpaka-Erlebnisse wie Spaziergänge oder Besuche anbietet.
Keine Scheu: Die Alpakas kommen den Bewohner*innen nahe, lassen sich streicheln und fressen aus der Hand.
Ein besonderes Erlebnis
Mit ihrem ruhigen und einfühlsamen Wesen haben Alpakas eine besondere Wirkung. "Wir wollen anderen Menschen ein positives Gefühl vermitteln mit unseren Alpakas", erklärt Detlef Maluche. Seine Frau Michaela ergänzt: "Ältere Menschen nehmen positive Momente mit und haben eine schöne Abwechslung in ihrem Alltag." Alpakas unterstützen deshalb auch in der Therapie, zum Beispiel bei Demenz, Autismus oder Depressionen.
Um sich in diesem Feld weiter zu professionalisieren, hat Detlef Maluche 2022 eine Ausbildung im Bereich tiergestützte Dienstleistungen an der Veterinärmedizinischen Universität Gießen abgeschlossen. Wie die neugierigen und sanftmütigen Vierfüßler auf Menschen mit Demenz wirken, hat der promovierte Oralchirurg mit seiner Abschlussarbeit untersucht. Dafür befragte er Bewohnerinnen des Stammhauses, die er mehrmals mit Alpakas besuchte. Das Ergebnis: "Die Alpaka-Besuche vermitteln ein gutes Gefühl bei Menschen mit Demenz", fasst Detlef Maluche zusammen. "Die Stimmung im Haus ist positiv – vorher, währenddessen und nachher. Nach dem Besuch erzählen die Bewohner von dem Erlebnis. Er wirkt also nach."
Das zeigt sich auch beim aktuellen Besuch: Im Garten des Pflegeheims strahlen die Bewohner*innen die Alpakas an, die wiederum neugierig beobachten und auf Geräusche hören. "Das ist Lana", sagt Detlef Maluche und deutet auf ein Alpaka mit hellbraunem, fast goldenem Fell. "Sie ist sechs Jahre alt. Heute haben wir auch ihre Mutter dabei." Seine Frau zeigt auf eine weiße Stute, die sie am Strick führt. "Alpakas sind sehr sensible Tiere. Sie sind am Anfang oft noch etwas schüchtern und müssen sich erst einmal hier akklimatisieren", erklärt Detlef Maluche. Die Bewohner*innen nicken verständnisvoll.
Bewohnerin Helga Fuhs füttert ein Alpaka mit Heu. Michaela Maluche (rechts) erklärt dabei, wie die Tiere bei ihnen leben.
Keine Kuscheltiere
"Es ist ein Privileg, wenn ein Alpaka sich streicheln lässt", betont Michaela Maluche. "Alpakas sind keine Kuscheltiere." Nachdem die anfängliche Aufregung verflogen ist und sich die Tiere langsam wohlfühlen in der anderen Umgebung, lassen sie sich von den Bewohner*innen streicheln. "So weich", flüstert eine Bewohnerin, die im Rollstuhl sitzt. "Das fühlt sich schön an." Die Alpakas haben noch ihr dichtes Winterfell, doch das kommt ab, wenn die Temperaturen steigen.
Das Stammhaus Kaiserswerth möchte seinen Bewohner*innen mit dem Besuch eine Freude bereiten. Wer mobil ist, kommt von selbst in den Garten. Vier Betreuungskräfte unterstützen diejenigen, die allein nicht kommen könnten. "Unsere Idee ist, dass Bewohnerinnen und Bewohner teilnehmen, die seltener andere Angebote wahrnehmen. Der Alpaka-Besuch richtet sich vor allem an Menschen mit Demenz", erklärt Astrid Kapels, die neue Leiterin Soziale Dienste. Für sie ist es der erste Alpaka-Besuch – und ein besonderer Termin: "Therapiehunde sind verbreitet, aber manche Menschen verbinden mit Hunden schlechte Erinnerungen an Bisse. Bei Alpakas ist das anders", sagt die leitende Sozialarbeiterin. Da die Tiere in der älteren Generation noch nicht so bekannt sind, gibt es auch keine schlechten Erinnerungen. "Alpakas bedienen das Kindchenschema: Sie sehen süß aus und fühlen sich gut an."
Detlef und Michaela Maluche besuchen mit ihren Alpakas regelmäßig Pflegebedürftige. Die Tiere wecken positive Erinnerungen an eigene Haustiere, berichtet der promovierte Oralchirurg.
Ein Lächeln ins Gesicht zaubern
Die empfindsamen Tiere spiegeln die Gefühle der Menschen: Ist ihr Gegenüber zu aufgeregt, werden die Fluchttiere ebenfalls nervös. Wer ruhig und vorsichtig auf sie zukommt, wird neugierig begrüßt. "Die Bewohner*innen können die Tiere anschauen, riechen und anfassen. Durch die vielen Reize kommen Erinnerungen hoch, zum Beispiel an eigene Haustiere", sagt Astrid Kapels. Das bestätigt auch die Abschlussarbeit von Detlef Maluche: "Menschen, die sich aufgrund ihrer Demenzerkrankung kaum noch an ihre Vergangenheit erinnern können, konnten sich nach einem Alpaka-Besuch wieder an ihre Haustiere von früher erinnern."
So erzählt eine Bewohnerin begeistert von ihren früheren Haustieren, einem Nymphensittich und einem Hund. "Ich hatte damals ein Pferd", erzählt eine andere Frau Detlef Maluche, als er Lana dichter zu ihr führt. "Die Alpakas sind ja so ähnlich." Der erklärt: "Alpakas sind Klein-Kamele. Wollen Sie Lana mal füttern?" Schnell streckt das Alpaka den Kopf vor und frisst der Bewohnerin aus der Hand. "Das kitzelt", sagt diese lachend und strahlt verzückt das Tier an.
Wie im Flug vergeht der einstündige Besuch. Einige Bewohner*innen haben sich nach und nach verabschiedet, und auch die Alpakas werden langsam unruhig, bemerkt Michaela Maluche: Sie tänzeln etwas mehr und lauschen genauer auf mögliche Gefahren. "Die Alpakas wollen nach Hause und Feierabend machen", sagt sie und führt die Tiere wieder in den Anhänger. Sie sind reif für die Weide. Im nächsten Monat kehren sie zurück – darauf freut sich schon das Stammhaus: "Der Besuch ist wirklich gut angekommen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern", sagt Astrid Kapels. "Ich freue mich schon auf das nächste Mal!"
Text und Fotos: Jana Hofmann
Alter und Pflege
Sozialer Dienst
Die soziale Betreuung in Pflegeheimen wird oft als eigenständige Aufgabe begriffen. Seit 2015 haben alle Bewohner und Bewohnerinnen einen Anspruch auf Unterstützung durch zusätzliche Betreuungskräfte. Sie sind vielerorts dem Sozialen Dienst zugeordnet. Im Stammhaus Kaiserswerth organisiert der Soziale Dienst jahreszeitliche Feste, ein wechselndes Wochenprogramm mit Bewegungsangeboten, Tanztee und Gottesdienste. Hinzu kommen Spaziergänge, eine Holzwerkstatt, besondere Frühstücke oder eine Kooperation mit einem Kindergarten, der die Bewohner*innen regelmäßig besucht. In den Startlöchern steht ein Fortuna Büdchen, das analog zum echten Kiosk am Rheinufer bald zum Selbstkostenpreis Kleinigkeiten verkauft.