26. Januar 2018

Sozialer Dienst und Pflege

Vom "Störenfried" zum Mitgestalter

In Gesprächsgruppen Gemeinschaft stiften, mit Bewohnern singen und spielen, Spaziergänge und Ausflüge organisieren – all das gehört in vielen Altenheimen zu den Aufgaben des Sozialen Dienstes und seiner Betreuungskräfte. Deren Zahl hat sich seit 2014 bundesweit auf 50.000 verdoppelt. Doch nicht überall ist das Miteinander von Sozialem Dienst und Pflege reibungslos. Erfahrungen aus Krefeld zeigen, wie es glücken kann.

Portrait

Bettina Lenzen leitet seit 2002 den Sozialen Dienst im Krefelder Altenheim am Tiergarten

Seit über 15 Jahren leitet Bettina Lenzen den Sozialen Dienst im Krefelder Altenheim am Tiergarten. Als sie kam, hatte sie viele gute Ideen mitgebracht. Für die Arbeit mit Ehrenamtlichen, die Betreuung der Angehörigen und die Gestaltung des Freizeitprogramms. Aber der Start wurde erschwert durch Argwohn bei manchen Pflegekräften. "Es war am Anfang sehr schwer, Akzeptanz für den Sozialen Dienst zu erhalten", erinnert sich Bettina Lenzen.

Sozialer Dienst galt nicht als Arbeit, so ihre Vermutung, jedenfalls als nicht anstrengend genug. Und es gab eine gewisse Konkurrenz. Manche Tätigkeiten des Sozialen Dienstes waren der Pflege scheinbar "weggenommen" worden. Aufnahmegespräche, Beschäftigung und auch das Freizeitprogramm wurden traditionell von Pflegekräften durchgeführt. Die schlechte Personalausstattung in der Pflege aber machte es oft schwer, diesen Aufgaben gerecht zu werden.  

Junge Frau neben einem alten Mann mit Ball in der Hand

Gruppe, Gemeinschaft und Ballspiele - ein Betreuungsangebot für Bewohnerinnen und Bewohner mit und ohne Demenz

Der Soziale Dienst als „Mädchen für alles“

Der schwere Start, an den Bettina Lenzen sich erinnert, ist nicht untypisch. Sozialer Dienst und soziale Betreuung als Teil des Sozialen Dienstes mussten in ihrer vergleichsweise kurzen Geschichte immer wieder um Anerkennung bei Pflege oder Leitung kämpfen. Schon seit den Anfängen - in NRW 1990 mit den "gruppenübergreifenden Diensten" - wurden die neuen Mitarbeitenden des Sozialen Dienstes beim Pflegepersonal als "Störenfriede" wahrgenommen und von der Einrichtungsleitung bisweilen als "Mädchen für alles" missbraucht. So jedenfalls wird es in einer spannenden Dissertation von Julia Bloech von 2012 zur Entwicklung der Sozialen Arbeit in der Altenhilfe dargestellt.

Alter Mann und alte Frau nebeneinander

Geselligkeit im Nachtcafé. Bild aus Videobericht zum Leben im Altenheim am Tiergarten

All das ist zumindest im Krefelder Altenheim am Tiergarten längst Vergangenheit. Inzwischen herrscht ein gutes und wertschätzendes Miteinander zwischen den Professionen. "Ganz am Anfang wurde die Betreuung über das ganze Haus organisiert, wie in den meisten Häusern", berichtet Bettina Lenzen. Inzwischen arbeiten die Betreuungskräfte des Sozialen Dienstes als kleine Teams und sind nur für einen Wohnbereich zuständig - wie die Pflege. So kann das kollegiale Miteinander viel besser gedeihen. Und die Betreuungskräfte lernen die Bewohner genauso gut kennen wie die Pflegekraft. 

Miteinander der Professionen auf Augenhöhe

Dieses System ist für Bettina Lenzen der wichtigste Schlüssel für ein Miteinander der Professionen auf Augenhöhe. Der zweite Schlüssel sei die hohe Fachkraftquote in ihrer Einrichtung, meint sie. Gesetzlich vorgegeben ist, dass mindestens 50 Prozent aller Beschäftigten eine mehrjährige Ausbildung zur Pflegekraft vorweisen können. In vielen Altenheimen wird diese Quote gerade eben erreicht. Im Altenheim am Tiergarten sind 85 Prozent aller Beschäftigten in der Pflege voll ausgebildet.

"Die haben den Wert ganzheitlicher Pflege verinnerlicht. Sie wissen, dass die soziale Betreuung wichtig ist. Und dass sie nicht alles selbst machen können." Durch die hohe Fachkräftequote sei die Pflege sehr selbstbewusst und in der Lage, Beiträge des Betreuungsteams für das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner anzuerkennen, erzählt Bettina Lenzen.

Portrait

Liebt die Urlaubsreisen mit Bewohnerinnen und Bewohnern: Markus Winke

Keine Hilfspfleger

Markus Winke bestätigt das. Der gelernte Ergotherapeut leitet seit sechs Jahren das Betreuungsteam im Wohnbereich I. Insgesamt sind sie da zu viert - neben ihm noch zwei Freiwillige im FSJ oder BFD und eine Assistentin im Ein-Euro-Job. Er schätzt besonders, dass er und sein Team sich wirklich auf ihre Aufgaben konzentrieren können. "Es kann mal sein, dass eine Betreuungskraft beim Essenanreichen mit unterstützt, aber das ist der Ausnahmefall, nicht die Regel - und wenn, dann auch nicht die Freiwilligen oder Assistenten." Begleitung bei Toilettengängen oder gar Unterstützung beim Waschen, das machen wir gar nicht." Die Pflegekräfte wissen, dass solche Tätigkeiten nicht an Ungelernte delegierbar sind. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Nach der letzten GKV-Studie zum Thema von 2012 helfen bis zu 70 Prozent der Betreuungskräfte in Heimen täglich bei anderen pflegerischen Tätigkeiten - und werden so Hilfskräfte der Pflege. Neuere Umfragen bestätigen diesen Befund.

Im Altenheim am Tiergarten findet dagegen ein kollegialer Austausch auf Augenhöhe statt. Markus Winke nimmt regelmäßig an Übergaben teil und kann die Beobachtungen aus seiner Arbeit einbringen. "Wir als Betreuungskräfte nehmen auch viele Situationen wahr, die die Pflege nicht so mitbekommt. Und wir haben oft mehr Zeit zu erproben, was ein Bewohner noch selbst kann".

Pflege ohne schlechtes Gewissen

Winke erzählt von einer alten Dame, die seit ihrem Einzug von den Pflegekräften das Essen angereicht bekam. "Ich habe mit ihr vieles ausprobiert, was sie selbst noch kann und was leichter geht." Die alte Frau kann jetzt ihre Mahlzeiten ganz alleine zu sich nehmen. "Als ich den Kolleginnen in der Pflege das gesagt habe, haben die mich erst ungläubig angeguckt - und sich dann mit mir gefreut."

Und er denkt nicht, dass die Betreuungskräfte der Pflege Tätigkeiten wegnehmen: "Die Pflegekräfte sind oft mit manueller Pflege beschäftigt. Wenn die ersten zwei Bewohner schon ins Bett gebracht wurden, sind da ja noch 18 Bewohner wach. Um die kann ich mich kümmern“, so Winke. Seine Arbeit entlaste die Pflegekräfte auch vom schlechten Gewissen, meint er. "Wenn Zeit ist, können die Pflegekräfte sich mehr mit den Bewohnern befassen, aber es ist nicht fest eingeplant, sie müssen das nicht". 

Alte Menschen im Rollstuhl im Stollen

Bergwerkbesichtigung - mit Begleitung der Betreuerinnen auch im Rollstuhl kein Problem.

Gemeinschaftliche Urlaube und Nachtcafés

Reisen dagegen werden von Betreuungs- und Pflegekräften gemeinsam organisiert. Manchmal sind Beschäftigte aus der Hauswirtschaft mit dabei. "Wir erleben uns da als Gruppe, haben eine gemeinsame schöne Zeit", erzählt Winke. Beim letzten Urlaub in der Nähe von Bad Sooden-Allendorf waren sie sogar mit Bewohnern in Rollstühlen in einem Bergwerk. 

Auch das Nachtcafé ist eine gemeinsame Aktion. Es entstand aus der Pflege, wird aber inzwischen von den Betreuungskräften des Sozialen Dienstes gestaltet. Jeden Tag gibt es ein eigenes Programm. Montags gibt es Musik, oft mit wechselnden externen Musikern, am Freitag wird gemeinsam gebacken und am Sonntag ist "Filmabend". Für die Verbindung mit den Pflegeteams sorgt der Schichtplan. "Um 17:30 beginne ich erst auf einem Wohnbereich, zwei Stunden später beginnt dann das Nachcafé", berichtet Beate Sobierajski, die nach vielen Jahren in der Pflege seit 2014 als Betreuungskraft arbeitet. 

Gleichwertige Handlungsfelder

Insgesamt also hat sich der Soziale Dienst im Krefelder Altenheim am Tiergarten als gleichwertiges Handlungsfeld neben der Pflege und der Hauswirtschaft etabliert. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass Bettina Lenzen als Leiterin des Sozialen Dienstes zugleich stellvertretende Einrichtungsleiterin ist. "Damit war es sicher leichter, die Betreuungsarbeit auszubauen und die gute Wertschätzung dieser Arbeit in der Leitung fortzusetzen, die für ein gutes Miteinander von Sozialem Dienst, Pflege und der Hauswirtschaft erforderlich ist,“ stellt sie fest.

Text und Portraitfotos: Christian Carls

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Soziale Betreuung

Die soziale Betreuung in Altenheimen wird oft als eigenständige Aufgabe begriffen. Seit 2015 haben alle Bewohner und Bewohnerinnen einen Anspruch auf Unterstützung durch zusätzliche Betreuungskräfte nach dem früheren §87b SGB XI, heute §43b. Sie sind in vielen Altenheimen dem Sozialen Dienst zugeordnet. Allerdings ist die empathische Berücksichtigung psychosozialer Bedürfnisse im professionellen Selbstverständnis der Pflege immer auch Bestandteil pflegerischen Handelns.