Sommerreihe Ehrenamtliche in der Diakonie
Einschließen, Kontrollieren, Distanz wahren – 15 Jahre lang hat Martina Raschke als Beamtin im Strafvollzug für Ruhe und Ordnung gesorgt. Eigentlich wollte sie Menschlichkeit in den Knast bringen, für diejenigen da sein, um die sich nur wenige gerne kümmern. Dafür hatte sie ihren Job als Industriekauffrau aufgegeben. Doch Schichtdienste, Überstunden und Stress mit den männlichen Kollegen führten sie in einen Burn-Out und die Frühpensionierung. "Ich hatte mich verändert", erzählt sie, "wurde hart und verschlossen. So bin ich eigentlich gar nicht."
Als sie sich beim Ehrenamtsdienst der Stadt Iserlohn meldete, schlug der Mitarbeiter ihr vor, sich im Altenzentrum Tersteegen-Haus des Evangelischen Johanneswerkes vorzustellen. Dort würden immer wieder Ehrenamtliche gesucht – und zwar auch für eher untypische Tätigkeiten.
Manfred Schoofs vor der Caféteria des Altenzentrums. Ehrenamtliche sind immer willkommen - aber nicht nur dort.
Mehr als Caféteria- und Besuchsdienst
"Wir wollten rauskommen aus der traditionellen Schiene Besuchsdienst und Caféteria", erzählt Einrichtungsleiter Manfred Schoofs. "Und wir haben gesehen, dass viele am Ehrenamt Interessierte gerne an einer Fortbildung teilnehmen möchten, die sie auf eine besondere Aufgabe vorbereitet."
Diese Möglichkeit bietet das Tersteegen-Haus seinen freiwilligen Helfern. Sie engagieren sich in verschiedenen Bereichen: Klangmassage, Clownerie, Bewegungsschule, Fahrdienst. "Wir sind für alles offen, was unseren Bewohnern gut tut", sagt Schoofs.
Bunte Bilder, bunte Bluse, bunte Säfte - Die Bewohnerinnen lieben den Saftwagen.
Unterwegs als "Saftdame"
Martina Raschke entschied sich dafür, einmal pro Woche mit dem "Saftwagen" unterwegs zu sein und den Senioren frisch gepresste Säfte anzubieten. "Viele haben sich gefreut, wenn ich gekommen bin und von ihren Kindern und Enkeln erzählt", sagt die 55-jährige Ehrenamtliche.
"Endlich durfte ich wieder Gefühle zeigen, jemanden berühren und in den Arm nehmen. Das tat mir unendlich gut nach all den Jahren, in denen ich im Gefängnis Distanz wahren musste."
Über 100 Ehrenamtliche engagieren sich im Tersteegen-Haus, in dem 98 Seniorinnen und Senioren von 88 Pflege- und Betreuungskräften begleitet werden. Es gibt regelmäßige Treffen, Fortbildungen und Supervisionen. Als Martina Raschke von den Klangmassagen für Menschen mit Demenz hörte, war sie fasziniert. "In einem Urlaub hatte ich diese Entspannungsmethode kennengelernt", erzählt sie. "Es ist erstaunlich, wie Töne dazu beitragen, dass man ruhig, gelassen und froh wird."
Sind verschieden groß und klingen anders - Martina Raschke arbeitet mit drei Klangschalen. Mit dem Luftballon sind die Vibrationen besser zu spüren.
Fortbildung zur Klangexpertin
Die pensionierte Beamtin nahm an den Fortbildungen zur Klangexpertin teil, die der Förderverein des Altenzentrums finanziert. Inzwischen gehört sie zum Team der sechs ehrenamtlichen Frauen, die regelmäßig Klangmassagen anbieten – vor allem für Menschen mit Demenz und Senioren, die bettlägerig oder sterbenskrank sind.
"Ich erlebe hier alte Menschen, die mit leerem Blick und unruhig in ihren Betten liegen, wenn ich komme", sagt sie. "Doch wenn ich meine Klangschalen mit ihren dunklen und hellen Tönen zum Schwingen bringe, dann entspannen sie sich plötzlich und ihre Augen leuchten. Das sind wunderbare Momente." Verkrampfungen lösen sich, positive Erinnerungen und Empfindungen kehren zurück. "Häufig sagen die Seniorinnen und Senioren mir, dass sie endlich wieder etwas spüren."
Hören und Entspannen - Helga Lang fühlt sich nach der Klangmassage besser.
Mit Klängen gegen die Schmerzen
Dass die Klangmassage gut tut, hat sich unter den Bewohnern des Altenzentrums herumgesprochen. Auch Helga Lang, die seit einem Jahr im Tersteegen-Haus lebt, möchte diese Entspannungsmethode kennenlernen. Sie ist weder dement noch bettlägerig, hat aber immer wieder Herzprobleme, starke Rückenschmerzen und Osteoporose.
"Vor Schmerzen habe ich mir oft den Tod gewünscht", erzählt sie. "Wenn ich es schaffe, mich zu entspannen, hilft mir das." Als Martina Raschke mit den Klangschalen auf ihr Zimmer kommt, ist sie erstaunt, wie unterschiedlich die Schalen klingen und wie stark sie vibrieren. Die Klangmasseurin legt sie ihr auf die Hände, den Bauch, den Brustkorb und zwischen die Füße. Die hellen und tiefen Töne erfüllen den ganzen Raum. "Das war sehr wohltuend", sagt die 83-jährige Seniorin, als sie verklingen. "Ich fühle mich besser." Einmal im Monat, so verabreden sie, wird Martina Raschke künftig bei Helga Lang mit ihren Klangschalen vorbeikommen.
Martina Raschke ist gerne im Altenheim unterwegs.
Geborgenheit und Freude erleben
Eine besondere Beziehung zu alten Menschen habe sie vor ihrem Ehrenamt im Altenheim nicht gehabt, erzählt Martina Raschke. Aber schnell gemerkt, dass sie hier richtig ist. Die freundliche Atmosphäre im Tersteegen-Haus, die helle Architektur und der Teamgeist gefallen ihr. "Alle haben ein gemeinsames Ziel", sagt Einrichtungsleiter Manfred Schoofs: "Die alten Menschen sollen sich hier wohlfühlen. Die meisten sind über 85 Jahre alt und das Altenheim ist ihre letzte Station. Wir möchten, dass sie hier Geborgenheit und Freude erleben."
Das ist keine leichte Aufgabe. Martina Raschke ist mit Schwäche, Krankheit, Sterben und Tod konfrontiert. Wenn sie die Bewohner mit Klängen massiert, sie berührt und mit ihnen ins Gespräch kommt, baut sie eine intensive Beziehung zu ihnen auf. Eine Beziehung, die jäh enden kann, wenn ein Bewohner plötzlich verstirbt. "Das ist schwer", gibt sie zu. "Aber ich kann den Menschen noch etwas Gutes tun, bevor sie gehen. Das gibt mir ganz viel."
Text und Fotos: Sabine Damaschke
Alter und Pflege
Klangtherapie – Durch Schwingung entspannen
Die Klangschalenmassage hat ihren Ursprung im asiatischen Raum. Schon vor über 5.000 Jahren soll sie in der indischen Heilkunst zum Einsatz gekommen sein. Die Metallschalen mit einer bronze- oder messingartigen Legierung werden durch einen Klöppel in Schwingungen versetzt und auf oder über den Körper gehalten. Durch die Übertragung der Vibration lösen sich muskuläre Verspannungen und regen die Durchblutung sowie den Lymphfluss an. Im Zuge der einsetzenden Entspannung werden Atmung, Herzschlag, Puls, Hautwiderstand, Blutdruck, Stoffwechsel und Verdauungssystem beeinflusst. Wissenschaftliche medizinische Studien zur Wirksamkeit gibt es bislang nicht.