29. März 2022

Pflege und Palliativversorgung

Brücken bauen für ältere Migranten

Welche Hilfe ist möglich – und was steht mir zu? Rund ums komplexe Thema Pflege benötigen viele ältere Menschen und ihre Angehörigen Rat. Wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, wird es oft kompliziert, an verständliche Informationen zu gelangen. In Köln hilft das neue Projekt "Brückenbauer*innen Palliative Care" – damit alle Menschen die gleiche Hilfe bekommen, auch am Lebensende.

  • Ein älterer Herr stützt seine Hände auf seinen Stock und schaut zu jemandem hoch, der ihn berät.
  • Die Mitglieder des Modellprojekts "Brückenbauer*innen Palliative Care".
  • Handhalten bei einem älteren Menschen im Klinikbett

"Die verstehe ich doch eh nicht", murmelt der 80-jährige Ukrainer und zuckt mit den Schultern. Er braucht eigentlich Hilfe, weil er so langsam nicht mehr alleine zurechtkommt. Doch es fällt ihm schwer, Informationen über Unterstützung im Alter zu finden und zu verstehen – vor allem, weil Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Gut, dass Irana Hüseynova da ist: Die Brückenbauerin unterstützt den Ukrainer bei seinem Treffen mit der Seniorenberaterin. Geduldig erklären die Frauen, welche Angebote es gibt und wie er sie nutzen kann – so lange, auf Deutsch und Russisch, bis er alles verstanden hat.

Irana Hüseynova ist eine von acht Brückenbauer*innen, die seit Februar in Köln ältere Menschen mit Migrationshintergrund unterstützen, Hilfsangebote kennenzulernen und wahrzunehmen, vor allem im Bereich Hospiz- und Palliativpflege. Sie stehen auch bei Arztbesuchen zur Seite oder geben Tipps, wie sie einen Pflegedienst finden, bei dem Mitarbeitende die eigene Muttersprache sprechen. Das Herzensanliegen von "Brückenbauer*innen Palliative Care": Alle Menschen sollen am Lebensende die gleiche Pflege erhalten, unabhängig von ihrer Herkunft und Muttersprache.

Eine junge Frau hält die Hand einer Seniorin.

Die Hand reichen und Brücken bauen: Das Modellprojekt will sprachliche und kulturelle Hürden aus dem Weg räumen.

Sprachtalente, die mit Rat und Tat helfen

Viele Eingewanderte kennen Palliativ- und Hospizangebote nicht, denn der Zugang ist durch Hürden erschwert. Und Familien geraten bei der Begleitung von Schmerzpatienten oder Angehörigen am Lebensende oft an ihre Grenzen. Damit Betroffene die Angebote verstehen und wahrnehmen, will "Brückenbauer*innen Palliative Care" sprachliche und kulturelle Barrieren abbauen. Für das Modellprojekt arbeiten das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte und die Diakonie Köln und Region zusammen. Das Bundesgesundheitsministerium unterstützt mit einer Förderung.

In Köln leben Menschen aus 183 Nationen. 40 Prozent aller Einwohner haben eine Zuwanderungsgeschichte. Und auch sie werden älter. Klassische Hilfsangebote erreichen sie oft nicht. "Wir haben zwar Beratungsstellen − dort gehen diese Leute aber oft nicht hin", sagt Claudia Lautner von der Diakonie Köln und Region, die das Projekt koordiniert. Vielleicht, weil sie die Angebote nicht kennen, vielleicht auch, weil sie befürchten, an sprachliche Grenzen zu stoßen. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind, fordert die Koordinatorin.

Alle acht Kölner Brückenbauer*innen können in mehreren Sprachen vermitteln. Irana Hüseynova hilft auf Russisch und Aserbaidschanisch. Ihre Kollegin Etleva Zeta kann auf Albanisch, Italienisch und Spanisch unterstützen. Die Sprache ist für viele eine Hürde. "Einige gehen lange nicht zum Arzt, weil sie nicht wissen, wie sie sich dort verständigen sollen", erzählt Etleva Zeta. Oder die älteren Menschen öffnen Briefe vom Amt oder Rentenversicherung nicht − und haben dann noch weniger Zugriff auf Unterstützung.

Hände einer Seniorin.

Damit alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Hilfe bekommen, vermitteln die Brückenbauerinnen sprachlich und kulturell.

Kulturgerecht älter werden

Insgesamt deckt das Projekt neben Deutsch zwölf weitere Sprachen ab. Selbst wenn die Menschen schon längere Zeit in Deutschland leben und auch lange gut zurechtkamen − im Alter nimmt die Sprachfähigkeit in der gelernten Sprache oft ab, erklären die Brückenbauerinnen.

Ihre Arbeit geht über das reine Dolmetschen hinaus: Sie begleiten nicht nur die Beratenden und übersetzen, sondern haben auch selbst Wissen rund um das Älterwerden. In einer 300-stündigen Schulung haben sie seit September ihre Kenntnisse vertieft und kennen sich mit Palliativversorgung, Demenz, aber auch Pflegestufen und anderen öffentliche Hilfs- und Unterstützungsangeboten aus.

Noch wichtiger aber: Sie können nicht nur in ihrer Muttersprache mit den Ratsuchenden sprechen, sondern haben Einblicke in deren Kultur und Gepflogenheiten. Welches Auftreten wird von ihnen erwartet? Welche Vorstellungen hat das Gegenüber vom Älterwerden? Und vom Sterbeprozess? In vielen Kulturen ist es etwa noch fester verankert, dass Menschen im Kreis der Familie alt werden und sterben. Dass es dafür auch Unterstützung gibt, können die Brückenbauerinnen erklären.

"Menschen fühlen sich verstanden"

Gleich vom ersten Tag an funktionierte das, berichtet Koordinatorin Claudia Lautner: "Das Angebot wird so gut angenommen, weil die Menschen sich verstanden fühlen." Weil die acht Mitarbeitenden selbst gut in den Communitys vernetzt sind, hat sich das Angebot auch schnell herumgesprochen. Irana Hüseynova leitet seit acht Jahren eine Seniorinnengruppe bei der Diakonie, Etleva Zeta hilft schon seit längerem Menschen mit Migrationshintergrund beim Ausfüllen von Formularen. So sind beide schon bekannte Gesichter. 

Immer wieder rufen die Leute aus dem Stadtteil direkt bei ihnen an und bitten um Hilfe, erzählen die Brückenbauerinnen. Auch die Beratenden, die Menschen ab 75 Jahren zu Hause besuchen, sind dankbar, für die neu geschaffene Brücke. So erreichen sie mehr ältere Menschen, die bisher nicht auf ihr Angebot reagiert haben. Irina Hüseynova, Etleva Zeta und die anderen Teammitglieder sind alle bei der Diakonie Köln angestellt. Ihre Hilfe ist kostenlos. Und das − sagen sowohl Irina Hüseynova als auch Etleva Zeta − konnten viele der älteren Menschen zuerst gar nicht glauben. 

Text: Carolin Scholz, Redaktion: Jana Hofmann, Fotos: Shutterstock, Diakonie Köln, Pixabay, AdobeStock

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