21. Dezember 2020

Interview mit Diakonie RWL-Vorstand

"Wir brauchen schnell Unterstützung"

Die Einrichtungen und Dienste der Diakonie RWL setzen alles daran, dass Weihnachten auch dieses Jahr ein Fest der Hoffnung wird. Doch in der Pflege ist die Lage sehr angespannt, die Mitarbeitenden sind erschöpft. Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann erklärt im Interview, welche Unterstützung er von der Politik erwartet und vor welchen Herausforderungen der Verband steht.

  • Porträtfoto von Christian Heine-Göttelmann

Stetig steigende Infektionszahlen und ein mutiertes Coronavirus aus Großbritannien – jetzt werden erste Stimmen laut, Besuche in den Alten- und Pflegeheimen doch zu verbieten. Wie stehen Sie dazu?

Besuche wieder zu verbieten wie es im ersten Lockdown der Fall war, halten wir trotz allem für den falschen Weg. Wir müssen alles dafür tun, damit alte und pflegebedürftige Menschen nicht vereinsamen. Deshalb sind die Schnelltests so wichtig. Aber wir brauchen dafür die Unterstützung von außen, etwa durch medizinisch geschulte Freiwillige, Studierende, Mitarbeitende des Medizinischen Dienstes, der Feuerwehren oder Angehörige der Bundeswehr. Das muss schnell und vor allem unbürokratischer organisiert werden als bisher.

Und wir appellieren auch an die Angehörigen, ihre Weihnachtsbesuche gut zu bedenken und mit den Einrichtungen abzustimmen. Schließlich ist das Risiko, am Covid 19-Virus zu versterben, bei über 80-jährigen Menschen 400 Mal höher als bei 40-Jährigen. In vielen diakonischen Senioren- und Pflegeheimen ermöglichen die Mitarbeitenden Kontakte über digitale Medien und sorgen mit viel Engagement und Kreativität dafür, dass Weihnachten nicht ganz ausfällt. Es gibt Feiern in den Wohneinheiten, Andachten durch Seelsorger und Brief- und Geschenkaktionen.

An die Impfungen, die schon in den Weihnachtsfeiertagen beginnen sollen, werden hohe Erwartungen geknüpft. Aber sind sie für das Personal in der Altenpflege organisatorisch überhaupt zu bewältigen?

Für noch dieses und noch bis weit ins nächste Jahr hinein fordern wir die Politik auf, die nötigen Rahmenbedingungen für die Impfungen in den Einrichtungen zu schaffen und sicherzustellen. Es ist ein hoher Aufwand an Vorbereitung nötig. Die Einrichtungen sollen dem ambulanten Impfteam eine komplette Kranken-Vorgeschichte in zweifacher Ausfertigung vorlegen. Das ist gerade jetzt, wo Pflegepersonal ausfällt, weil es selbst mit dem Coronavirus infiziert oder daran erkrankt ist, kaum zu schaffen. Hinzu kommt der hohe Aufwand durch die Schnelltests.

Daher noch einmal der dringende Appell an die Politik, eine Unterstützung durch Freiwillige, Hilfswerke oder die Bundeswehr zu organisieren. Zudem müssen die Impfungen möglichst schnell auf weitere vulnerable Personengruppen ausgeweitet werden, etwa auf Menschen mit Behinderungen, die wir in unseren Arbeitsfeldern betreuen. Auch sie haben ein Recht auf Teilhabe an den lebensrettenden Impfungen.

Für eine gute, fundierte Pflege braucht es nachhaltige Strukturänderungen. Was erwarten Sie diesbezüglich von der Politik?

Für die Langzeitpflege steht im kommenden Jahr die dringende Reform der Pflegeversicherung an. Das ist die größte sozialpolitische Aufgabe für 2021. Schon vor der Pandemie waren zu wenige Pflegekräfte im Einsatz. Hier erwarten wir von der Politik einen entscheidenden Schritt zur Behebung des Pflegenotstands. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen fehlen in Deutschland 100.000 Pflegekräfte in den stationären Pflegeeinrichtungen und auch in der ambulanten Pflege besteht dringender Handlungsbedarf. Dafür braucht es neben Strategien, wie mehr Menschen für diese wertvolle Arbeit gewonnen werden können kann, auch andere Finanzierungskonzepte. Schon heute müssen pflegebedürftige Menschen zu viel für einen Heimplatz zahlen. Das kann so nicht weitergehen.

Was wird sich bei der Diakonie im kommenden Jahr ändern?

Wie in allen Zweigen des gesellschaftlichen Lebens steht auch bei uns das Thema der Digitalisierung auf der Agenda. Durch die Pandemie hat das rasant an Bedeutung gewonnen. Viele Einrichtungen haben Menschen in Not digital beraten. Um Kontakte zu ermöglichen, sind nicht nur in den Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe, sondern auch in der Wohnungslosenhilfe sowie für einkommensschwache Familien, die von der Diakonie betreut werden, Smartphones und Tablets angeschafft und verteilt worden.

Das kann aber nie den direkten Kontakt ersetzen, sondern nur ergänzen. Es kommt uns darauf an, einer guten Balance zwischen Technik und persönlicher Begegnung zu finden. Für die Digitalisierung stehen übrigens auch Projektmittel aus der Stiftung Wohlfahrtspflege zur Verfügung, die wir nutzen werden, die Digitalisierung für die Menschen und für Arbeitsprozesse sinnhaft zu gestalten.

Das Interview führte Sabine Damaschke.

Die Pressemitteilung der Diakonie RWL zu den Impfungen finden Sie hier

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Die Diakonie RWL vertritt 450 stationäre Altenheime mit 40.000 Plätzen und 280 ambulant pflegende Diakoniestationen sowie etwa 150 Tagespflegeeinrichtungen.