12. Mai 2020

Internationaler Tag der Pflege

Voller Einsatz mit großem Risiko

Selten gab es so viel Lob für ihre Arbeit wie am heutigen "Internationalen Tag der Pflege", dem 200. Geburtstag der Pflegepionierin Florence Nigthingale. In der Corona-Krise leisten Pflegekräfte Vorbildliches für infizierte, erkrankte und pflegebedürftige Menschen. Und das unter oftmals schwierigen Bedingungen, wie zwei Beispiele aus der ambulanten Pflege in Essen und dem Münsterland zeigen.

  • Jolanta Scharein, Pflegekraft der Diakoniestationen Essen
  • Marcel Splitter, Stellvertretende Pflegedienstleitung der Diakoniestationen Essen
  • Mechthild Kemper, Betreuerin der Diakoniestationen Essen

Wenn Susanne Middendorf in diesen Tagen die Vorratsschränke öffnet, ist sie erleichtert und stolz. "Wir haben medizinische Atemschutzmasken, Handschuhe und Desinfektionsmittel, aber leider noch einen sehr geringen Vorrat an Schutzkitteln", sagt die Leiterin des Geschäftsbereichs "Perthes-Ambulant" der Evangelischen Perthes-Stiftung. Das sah zu Beginn der Corona-Pandemie anders aus. "Seit über 30 Jahren arbeite ich in der Pflege und zum ersten Mal habe ich erlebt, dass es nicht genug Schutzkleidung gab, weil der Markt leergefegt war."

Mit acht Pflegediensten betreut die Stiftung rund 1.150 Klientinnen und Klienten im Sauerland, Kreis Steinfurt und Borken, aber auch in Städten wie Hamm und Unna. Zwischen zehn und dreißig Haushalte versorgen die ambulanten Pflegekräfte pro Tag. Sie geben Medikamente und Spritzen, wechseln Verbände, helfen beim Duschen und Anziehen und beim Organisieren des Haushalts. Abstand halten ist für die insgesamt rund 350 Mitarbeitenden dabei kaum möglich.

Susanne Middendorf leitet die ambulanten Pflegedienste der Evangelischen Perthes-Stiftung.

Susanne Middendorf leitet die ambulanten Pflegedienste der Evangelischen Perthes-Stiftung. (Foto: Perthes-Stiftung)

Schutzkleidung – eine Sache der Eigeninitiative

Es habe viel Unruhe und Unsicherheit unter den Pflegekräften und Klienten gegeben, erzählt Susanne Middendorf. Schnell wurde der Pandemieplan angewandt und ein Kollege beauftragt, Schutzkleidung für die gesamte Stiftung zu beschaffen – mit Erfolg. "Das ist der Vorteil eines großen Trägers", meint die Pflegeexpertin. "Wir haben das Netzwerk und die Kapazitäten, um selbst aktiv zu werden. Die zuständigen Kommunen haben sich bemüht, uns mit der notwendigen persönlichen Schutzausrüstung zu versorgen. Die konnte allerdings nicht annähernd in der erforderlichen Anzahl erfolgen."

Auch die Diakoniestationen Essen mussten selbst zusehen, wie sie an genügend Schutzkleidung kommen. „Seit zwei bis drei Wochen sind wir gut versorgt“, berichtet Michael Köhnen, Pflegedienstleiter der Diakoniestation Essen-Katernberg. In der ganzen Stadt pflegen, betreuen und begleiten die acht Diakoniestationen mit rund 450 Mitarbeitenden über 1.800 pflegebedürftige Menschen. Um die Kundinnen und Kunden sowie die Mitarbeitenden vor einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus zu schützen, wurden Dienstpläne so gestaltet, dass die Pflegekräfte möglichst eine ganze Woche immer dieselben Klienten versorgen und so wenig Wechsel wie möglich stattfindet.

Michael Köhnen sorgt als Pflegedienstleiter der Diakoniestation Essen-Katernberg für den reibungslosen Einsatz der ambulanten Pflegekräfte in der Corona-Pandemie.

Michael Köhnen sorgt als Pflegedienstleiter der Diakoniestation Essen-Katernberg für den reibungslosen Einsatz der ambulanten Pflege in der Pandemie. (Foto: Diakonistationen Essen)

Hohe Anforderungen an Dienstpläne

Zudem starteten die Touren zeitversetzt, erklärt Michael Köhnen. So könnten sich die Pflegekräfte vor einer gegenseitigen Ansteckung schützen. Die Verwaltungskräfte seien im Homeoffice, Dienstbesprechungen fänden digital statt. "Das klappt bislang reibungslos, denn wir mussten noch keine Mitarbeitenden in Quarantäne schicken und hatten auch noch keine infizierten oder erkrankten Mitarbeitenden", sagt er.

"Doch die Angst, dass eine Infektionskette in Gang kommen könnte, ist immer da." In der ambulanten Pflege der Perthes-Stiftung waren bereits Mitarbeitende in Quarantäne. Doch die Dienste hätten das auffangen können, erzählt Susanne Middendorf. "Größere Pflegedienste können ihre Dienstpläne leichter so einteilen, dass im Fall einer Corona bedingten Quarantäne eines Mitarbeitenden die Versorgung der Klienten sichergestellt ist", erzählt sie. Außerdem gebe es in dieser Pandemie eine hohe Bereitschaft der Teams, flexibel und auch mal länger zu arbeiten. Schließlich hätten die Klientinnen und Klienten viele Ängste und Fragen. Die Pflegekräfte sind dafür oft die ersten Ansprechpartner. Bei den Diakoniestationen Essen wurde deshalb ein Telefonischer Besuchsdienst eingerichtet.

Diakonie RWL-Referentin Susanne Westhoff kämpft seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege.

Diakonie RWL-Referentin Susanne Westhoff kämpft seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege.

Stütze des Gesundheitssystems

"In der Corona-Krise stützt die ambulante Pflege unser ganzes Gesundheitssystem", ist Diakonie RWL-Referentin Susanne Westhoff überzeugt. Schließlich werden die meisten Menschen in Deutschland – drei Viertel der mehr als vier Millionen Pflegebedürftigen zuhause versorgt. Zu etwa 1,2 Millionen Menschen kommen Fachkräfte der ambulanten Dienste nach Hause. In der Diakonie RWL gibt es allein in NRW 256 Dienste. Sie beschäftigen etwa 10.000 Mitarbeitende, die rund 20.000 Menschen versorgen.

"In der Pandemie werden die ambulanten Pflegekräfte eher stiefmütterlich behandelt", findet Susanne Westhoff. "Bis heute haben viele Dienste nicht genügend Schutzkleidung – erst recht keine medizinische. Viel zu lange wurden so gut wie keine der Patienten auf das Covid-19-Virus getestet, die aus Kliniken entlassen oder neu aufgenommen wurden. Das ist jetzt zum Glück in einer Verordnung festgehalten." Die Umsetzung sei vor Ort allerdings noch holprig.

Die große Sorge, dass die Nachfrage nach ambulanter Pflege in der Corona-Krise für die Dienste nicht mehr zu bewältigen ist, hat sich laut Westhoff bei vielen diakonischen Trägern nicht bestätigt. Zwar sind die meisten  ambulanten Pflegedienste knapp besetzt und auch die Nachfrage ist unverändert hoch, doch Fachkräfte sind rar. Zum Teil führen die Dienste lange Wartelisten. Doch in der Pandemie haben sich Klienten, die eher leichte Pflegetätigkeiten oder Haushaltsleistungen gebucht hatten, aus Angst vor Ansteckung abgemeldet. Dafür kamen andere, die aus Kliniken entlassen wurden, hinzu, wie Susanne Middendorf und Michael Köhnen berichten.

Florence Nightingale: Vorbild für eine ganzheitliche Pflege

"Außerdem profitieren wir in dieser Krise von einem Bürokratieabbau", sagt Michael Köhnen. Bislang mussten bei den Krankenkassen vom Kunden unterschriebene Formulare über die täglich geleistete Pflege in Papierform eingereicht werden. Das geht nun in Ausnahmefällen digital. "Damit sparen unsere Pflegekräfte viel Zeit, die sie sonst mit dem Ausfüllen von Papier verbringen", bestätigt Susanne Middendorf. "Ein unnötiges Prozedere, denn unsere Mitarbeitenden sind alle mit mobilen Datenerfassungsgeräten ausgestattet, auf denen sich die relevanten Pflegedaten befinden und auch Unterschriften geleistet werden können." Beide Fachkräfte wie auch Diakonie RWL-Referentin Susanne Westhoff hoffen, dass diese Ausnahmeregelung auch nach der Pandemie Bestand haben wird.

Und sie wünschen sich, dass sich die derzeitige Wertschätzung für die Pflege in besseren Rahmenbedingungen niederschlagen wird. "In diesem Jahr feiern wir den 200. Geburtstag von Florence Nightingale. Sie hat sich für eine Krankenpflege stark gemacht, die den ganzen Menschen in den Blick nimmt", betont Susanne Middendorf. "Genau das tun wir in der ambulanten Pflege."

Text: Sabine Damaschke, Slider-Fotos: Claudia Broszat

Ihr/e Ansprechpartner/in
Susanne Westhoff
Geschäftsfeld Sozialpolitik u. Quartiersarbeit
Weitere Informationen

Am diesjährigen "Internationalen Tag der Pflege" wäre Florence Nightingale, die Pionierin der modernen Krankenpflege, 200 Jahre alt geworden. Mit ihren Ideen für eine bessere Pflege und mehr Infektionsschutz sorgte die Britin für bessere Bedingungen für Pflegerinnen und Kranke in den Kliniken. Darüber hinaus trug ihr Engagement dazu bei, dass die Pflege als gesellschaftlich geachteter und anerkannter Berufsweg für Frauen galt. 1850 verbrachte sie zwei Wochen in der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf, deren Klinik heute ihren Namen trägt. Florence Nightingale starb am 13. August 1910 in London. Sie wurde 90 Jahre alt.