19. Oktober 2018

Fachkräftemangel in der Pflege

Gute Führung hilft – Ein Gespräch mit Ulrich Watermeyer

Die Wirtschaft leidet unter Fachkräftemangel. Die Sozialwirtschaft ist besonders betroffen. Es fehlt an Erzieherinnen und Krankenschwestern, an Sozialarbeitern und vor allem an Pflegekräften. Es fehlt an Menschen, aber auch an guten Ideen, um Mitarbeitende für die Pflege zu gewinnen und sie im Beruf zu halten. Ulrich Watermeyer von der Diakonie Münster ist einer, der gute Ideen hat. 

Ulrich Watermeyer
Foto: Reinhard van Spankeren

Der Altenhilfe-Profi Watermeyer hat sein Büro nicht in der Geschäftsstelle der Diakonie Münster, sondern nebenan, direkt im Altenheim "Martin-Luther-Haus". Die Nähe zu den Bewohnern und die Nähe zu den Mitarbeitern sind ihm wichtig. Der studierte Diplompädagoge kennt Altenpflege in all ihren Facetten, hat aber durchaus auch andere berufliche Erfahrungen gesammelt. Vor seinem Studium hat der gebürtige Dattelner ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pflege absolviert und sich mit pflegerischen Diensten dann sein Studium finanziert.

Auf das Studium folgte noch ein Zivildienst in einer psychologischen Beratungsstelle, später engagierte Watermeyer sich in der Aidshilfe, bevor er schließlich in Greven-Reckenfeld ein diakonisches Altenheim übernahm. In diesem Jahr hat Ulrich Watermeyer sein 25-jähriges Diakonie-Jubiläum begangen. Als Geschäftsführer ist er verantwortlich für fünf stationäre Altenpflegeeinrichtungen mit etwa 600 Pflegeplätzen. Hinzu kommen Betreutes Wohnen, Kurzzeitpflege, die Häusliche Pflege der Diakoniestation, Tagespflege, eine Praxis für Ergotherapie oder auch eine Wohngemeinschaft. 

Foto: www.pixabay.de

Schnelligkeit zahlt sich aus

Seit wann ist Fachkräftemangel zum Thema geworden? "Seit etwa zehn Jahren spüren wir das", sagt Watermeyer. Allerdings sei die Lage in Münster nicht so schlimm wie etwa im Ruhrgebiet. "Münster ist eine attraktive Stadt, da wollen viele hin. Wir müssen dann aber schnell sein." Interessenten bekommen sofort eine Rückmeldung. Es kommt vor, dass jemand innerhalb eines Tages eingestellt wird. Geschäftsführer Watermeyer nutzt dabei seine guten kurzen Drähte zu Verwaltung und Mitarbeitervertretung. "Das ist noch nie schiefgegangen", berichtet er. 

Stellenanzeigen in der Zeitung werden nicht mehr geschaltet. Entscheidend sind die Mund-zu-Mund-Propaganda und das Internet. Sofort wird überlegt: "Wohin passt die Person, die sich bei uns meldet?" Hilfreich ist auch das heutige Karriereportal des Diakonie-Bundesverbandes. Welche Arbeitgeber-Vorteile kann die Diakonie Münster ins Spiel bringen? "Wir haben ein großes Portfolio, da findet jeder seinen Platz", betont Ulrich Watermeyer, "andererseits sind wir mit gut 1.000 Beschäftigten in der Altenhilfe auch nicht überdimensional groß." Eine gewisse Besonderheit in Münster: Der Anteil der männlichen Beschäftigten liegt schon bei 25 Prozent und steigt weiter an. 

Rahmenbedingungen ausschöpfen

Ulrich Watermeyer ist Realist. Gleich mehrmals im Gespräch streicht er heraus: "Ich kann die Rahmenbedingungen nicht ändern." Die Rahmenbedingungen, seien sie wirtschaftlicher oder politischer Natur, schöpft er allerdings voll aus. Ganz entscheidend ist hier eine Grundsatzentscheidung, die der Chef Watermeyer für seine Leitungstätigkeit vor einigen Jahren gefällt hat: 50 bis 60 Prozent seiner Arbeitszeit widmet er der Personalbegleitung und der Personalgewinnung.

"An allen Schrauben, an denen ich drehen kann, drehe ich", erläutert der Pflegeexperte sein Vorgehen. So werden etwa die fertig Ausgebildeten sofort nach Ausbildungsende eingestellt, auch wenn der Stellenschlüssel für eine Zeit damit überschritten wird. Der Personalschlüssel wird voll ausgeschöpft. 

Führungsverhalten und Betriebskultur

Entscheidendes Mittel gegen Fachkräftemangel, so die Sicht des Geschäftsführers, ist die Betriebskultur. "Das Betriebsklima wird durch das Führungsverhalten bestimmt", lautet sein Credo. Der Chef Ulrich Watermeyer zieht sich nicht in eine oben gelegene Chefetage zurück. Mit dem Rad fährt er von Einrichtung zu Einrichtung und nimmt an Teambesprechungen teil. So weiß er auf kurzem Dienstweg, was läuft und wo der Schuh drückt.

Fortbildungen, Supervisionen, Einführungsseminare, Oasentage, Befragungen zur Stimmung am Arbeitsplatz und Danke-schön-Frühstücke sind selbstverständlicher Bestandteil der diakonischen Unternehmenskultur in Münster. Watermeyer betont: "Nur Mitarbeiter, die Wertschätzung erleben, sind Werbeträger ihrer Firma." Jede Führungskraft nimmt einmal jährlich an einem Führungsseminar oder Coaching teil. "Nirgendwo gibt es so viele Aufstiegsmöglichkeiten wie im Pflegebereich", unterstreicht Ulrich Watermeyer.

Foto: Freie Wohlfahrtspflege NRW

Starke Pflege in Münster

In Münster haben sich 14 Arbeitgeber zusammengeschlossen, um mit einer zweijährigen Kampagne das Image von Pflege als Beruf zu verbessern. Die Diakonie Münster macht aktiv mit. Markenbotschafter zeigen in Videobotschaften und Fotoserien, wie bereichernd die Arbeit mit älteren Menschen ist. In seinem Mitarbeiterbrief betont Ulrich Watermeyer, dass die beteiligten Arbeitgeber sich bei dieser Initiative nicht als Konkurrenten begreifen, sondern sich gegenseitig unterstützen. Allgemein wünscht er sich, dass die Anliegen der Pflege gegenüber Politik und Öffentlichkeit kräftiger zur Sprache gebracht werden.

Sein klares Votum hört sich im Originalton so an: "Wir benötigen eine Pflegewende, bei der nicht das Geld, sondern die Menschen, die versorgt werden und die Pflegenden im Mittelpunkt stehen." Zum Internationalen Tag der Pflege gab es einen Azubi-Talk auf dem Markt am Domplatz. Ein besonders sensibles Thema aus der Sorgearbeit packt die Dienstvereinbarung mit dem sprechenden Titel "Holen aus dem Frei" an. Hier wird im Konsens von Vorstand und Mitarbeitervertretung geregelt, unter welchen Bedingungen kurzfristiges Einspringen erfolgt. 

Integration in Pflege

Was kann getan werden, um den Fachkräftemangel in der ambulanten und der stationären Pflege zu beheben? Da gibt es viele Ankündigungen, Projekte, Ideen, Fördergelder, Diskussionen, starke Sprüche und große Bündnisse. Oft wird die Anwerbung ausländischer Fachkräfte als Patentlösung angepriesen. Der Pragmatiker Ulrich Watermeyer hat mitten in Münster ein Haus angemietet, in dem acht Auszubildende aus aller Welt leben und wohnen können. Zusätzlich zu einem Ausbildungskoordinator hat die Diakonie Münster mit einer halben Stelle eine Integrationsbeauftragte eingestellt, die täglich vor Ort ist und den jungen Menschen mit internationaler Geschichte mit Rat und Tat bei der Beheimatung hilft. 

Es zeigt sich: Auch wenn man die Rahmenbedingungen nicht ändern kann, man muss nicht tatenlos zuschauen, wenn es gilt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft zu gewinnen. 

Text: Reinhard van Spankeren

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