Fachkräftemangel in der Pflege
Zwischendrin mal eine Pause machen – Für Lea, Sandra und Ramona sind das seltene Momente in der Ausbildung. Deshalb genießen sie es, zwischen zwei Unterrichtsstunden an der Augusta Akademie Bochum vor ihrem Schulgebäude in der Sonne zu sitzen.
Die drei Frauen haben im September letzten Jahres mit ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin begonnen. Ein Beruf mit Zukunft. Alle drei würden ihn gerne ausüben, bis sie in Rente gehen. Doch sie haben Zweifel, ob ihnen das gelingt.
"In diesem Beruf ist man ständig im Zeitverzug", sagt Ramona. "Jede Pause ist ein Luxus, den sich die Pflegekräfte eigentlich nicht leisten können, weil zu wenige auf einer Station arbeiten." Im ambulanten Pflegedienst sieht es nicht anders aus, erzählt Sandra. Ein Stau – und schon gibt es Probleme mit dem eng getakteten Zeitplan für die Pflege der Patienten. Außerdem mache das ständige Heben und Tragen vielen Fachkräften Schwierigkeiten, beobachtet Lea. "Trotzdem würde ich gerne mein Leben lang in der Pflege bleiben", betont die 17-jährige Schülerin. "Die Herzlichkeit und Dankbarkeit der alten Menschen ist einfach schön."
Akademieleiter Uwe Machleit unterrichtet Psychologie
Freude ist wichtiger als Geld
Ramona, Sandra und Lea nicht nur zu Pflegekräften auszubilden, sondern sie in diesem Beruf auch zu halten, wird nicht leicht sein. Im Durchschnitt bleiben Pflegekräfte unter 30 Jahren laut einer Studie der Gewerkschaft ver.di nur 18 Monate bei einem Arbeitgeber. Angesichts von rund 20.000 Pflegekräften, die schon heute pro Jahr in den Einrichtungen fehlen, müssten sich Träger und Einrichtungen eigentlich bei den Fachkräften bewerben und nicht umgekehrt, meint der Leiter der Augusta-Akademie, Uwe Machleit. Die Schule der Evangelischen Augusta-Stiftung hat insgesamt 400 Schüler.
"Der Wettbewerb um die Pflegekräfte wird sich künftig noch verschärfen. Wer die besten Rahmenbedingungen bietet, gewinnt", sagt Machleit. Dazu gehört - anders als häufig angenommen - nicht an erster Stelle das gute Gehalt. Laut ver.di-Umfrage kommt es der neuen Generation an Pflegekräften vor allem auf die „Freude an der Arbeit“ (87 Prozent) an. 78 Prozent möchten ihren Beruf im Sinne einer "Work-Life-Balance" mit ihrem Privatleben vereinbaren können. 73 Prozent legen Wert auf nette Teamkollegen.
Sandra würde später gerne als Palliativkraft arbeiten
Spezialisierung der Branche nicht aufzuhalten
"Natürlich spielt der Verdienst eine Rolle, denn ich habe fünf Kinder zu versorgen", erzählt die 41-jährige Sandra. "Doch wichtiger ist es für mich, nach der Ausbildung eine unbefristete Stelle zu bekommen und in einem guten Team zu arbeiten." Gerne würde sie dann noch eine Weiterbildung zur Palliativkraft machen. Auch Ramona kann sich eine Spezialisierung vorstellen. "Vielleicht wechsele ich später in die Betreuung alter Menschen", überlegt sie. "Für Gespräche, Spiele oder Spaziergänge haben wir in der Pflege ja kaum Zeit."
Die Spezialisierung der Altenpflegebranche sei nicht mehr aufzuhalten, beobachtet Uwe Machleit. "Und sie kommt vielen Pflegeschülern entgegen, die sich einen Beruf wünschen, der ihnen eine überschaubare Leistung abverlangt." Die engagierte Pflegekraft, die alles im Blick habe, sich für ihre Patienten aufopfere und selbstverständlich Überstunden mache, gehöre zunehmend der Vergangenheit an. "Das haben manche Träger noch nicht begriffen", kritisiert er. "Der Pflegenachwuchs will verlässliche Dienstpläne, eine klare Aufgabenteilung, Teamarbeit und eine Atmosphäre, in der er sich wohlfühlt."
Farbenfrohe Einrichtung, gute Begleitung in der Ausbildung - das will die 17-jährige Lea
Mit guter Betreuung punkten
Für Lea trifft das auch auf die äußere Gestaltung ihres Arbeitsplatzes zu. "Ich möchte nur in einer Einrichtung arbeiten, die hell und farbenfroh ist", betont sie. "Das sorgt nicht nur bei mir für bessere Laune, sondern hat auch einen positiven Einfluss auf die Bewohner."
An solchen Punkten müssten Arbeitgeber bei der Nachwuchsgewinnung ansetzen, ist der Akademieleiter überzeugt. "Die Altenpflege hat ein durchwachsenes Image. Doch diejenigen, die sich auf diesen Beruf einlassen, erleben im Umgang mit den alten Menschen Wärme, Herzlichkeit und Geborgenheit." Das müsse stärker in der Öffentlichkeit ankommen.
Wer also Nachwuchs für die eigene Einrichtung gewinnen will, sollte schon in der praktischen Ausbildung punkten, empfiehlt Machleit. 82 Prozent der Schüler wünschen sich Praxisanleiter, die mehr Zeit für sie haben. Im Anschluss an die Ausbildung dürften Träger ihnen keine befristeten Verträge und Teilzeitarbeitsverträge anbieten. "Sonst gehen sie direkt zum nächsten Anbieter, denn sie können sich den Arbeitsplatz aussuchen."
Schulgebäude der Augusta Akademie Bochum - 400 Nachwuchskräfte lernen hier
Verbindlichen Personalschlüssel einführen
Doch nicht nur an die Träger, auch an die Politik appelliert der Experte, für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege zu sorgen. "Wir brauchen einen verbindlichen Personalschlüssel wie es ihn vor Einführung der Pflegeversicherung gab."
Machleit befürwortet eine Fachkräftequote von 50 Prozent. Dafür muss mehr Geld ins System. Angesichts des Pflegenotstandes gibt es für Machleit keine Alternative zur Aufstockung der Pflegeversicherung.
Lea, Ramona und Sandra wissen, dass sie dringend auf dem Pflegemarkt gebraucht werden – und treten schon in der Ausbildung entsprechend selbstbewusst auf. "Ich schäme mich nicht, wenn ich etwas nicht weiß", sagt Ramona. "Ich sage dann immer: Bitte zeigen Sie mir erst, wie das geht."
Text und Fotos: Sabine Damaschke
Teaserfoto: LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW