Energiekrise
Mit Sorge blickt Andreas Flaßpöhler, Teamleitung Stationäre Altenhilfe im Zentrum Pflege des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe, in die Zukunft. "Die Energiekrise und die damit verbundene Inflation belasten die Einrichtungen und deren Bewohner massiv", sagt er. In Diakonie-Heimen – Flaßpöhler und sein Team sind für mehr als 650 Einrichtungen im Verbandsgebiet zuständig – habe es zuletzt bereits eine durchschnittliche monatliche Preissteigerung um rund 200 Euro je Heimbewohner gegeben, berichtet er. Diese beinhaltet den einrichtungsindividuellen Eigenanteil und Kosten für Unterkunft und Verpflegung. "Wegen der steigenden Energiepreise ist aber mit weiteren Kosten zu rechnen, die von den Einrichtungen zu refinanzieren sind und auch entsprechend auf die Pflegeheimbewohner umgelegt werden", sagt der Pflegeexperte.
Andreas Flaßpöhler, Teamleitung Stationäre Altenhilfe im Zentrum Pflege der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, berät Heimbetreiber in allen Fragen rund um die Pflege.
Große Verunsicherung
Genau beziffern ließen sich diese Mehrkosten derzeit nicht. Die Gasumlage ist zwar gekippt. "Dennoch herrscht in den Einrichtungen weiterhin große Verunsicherung", sagt Flaßpöhler, der die Heimbetreiber in allen Fragen rund um die Pflege berät. "Mittlerweile bekomme ich beispielsweise Anrufe, in denen die Verantwortlichen sich konkret danach erkundigen, ob sie neue Vertragsangebote mit Energieversorgern unterschreiben können." Solche Dinge seien früher nie Thema gewesen, "aber wenn jetzt überhaupt Folgeverträge angeboten werden, geht es teilweise um Preissteigerungen um ein Vielfaches, das entspricht in einigen Fällen einer Zusatzbelastung in sechsstelliger Höhe".
Vor diesem Hintergrund stellten sich die Betroffenen die Frage, ob diese Preissteigerung dann im Pflegesatz abgebildet werden könne. Unabhängig davon sei es für alle Einrichtungen überlebenswichtig, die Steigerungen mit den Kostenträgern zu verhandeln, um eine ausreichende Refinanzierung zu haben.
Viele Heimbetreiber sind unsicher, ob sie neue Vertragsangebote mit Energieversorgern unterschreiben sollen.
Keine Planungssicherheit
Auf Landesebene arbeite man an Lösungen, um dieses Dilemma zu lösen, sagt Flaßpöhler. "Aber wegen der aktuellen Dynamik und Unvorhersehbarkeit ist es schwierig, diese Kosten zu kalkulieren." Habe man sich erstmal mit dem Kostenträger als Verhandlungspartner geeinigt, bleibe die Sorge, ob das für die kommenden zwölf Monate reicht oder ob nicht doch Finanzierungslücken auftreten, die allerdings in künftigen Verhandlungen nur schwierig rückwirkend ausgeglichen werden können.
Andreas Flaßpöhler beschreibt das Problem so: "Einrichtungen, die schon Verhandlungen geführt haben und nun Energiekostensteigerungen wegen Vertragsanpassungen haben, müssen nach aktuellem Stand entweder bis zur nächsten Verhandlung durchhalten, oder sie können unter bestimmten Bedingungen vom Sonderkündigungsrecht (gemäß Pflegesatzverfahren Sozialgesetzbuch XI) Gebrauch machen." Beide Situationen seien "nicht schön" und garantierten den handelnden Personen keine Planungssicherheit.
Der Aufenthalt im Heim wird für die Bewohnerinnen und Bewohner immer teurer. Viele können das nicht bezahlen.
Höhere Belastung
Sein Fazit: Die höheren Kosten werden von den Einrichtungen zu refinanzieren sein, um vertraglichen Vereinbarungen nachkommen zu können und den Versorgungsauftrag gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern erfüllen zu können. Das heißt aber auch: Systembedingt wird das zu einer überproportionalen Belastung der Heimbewohner*innen führen. Andreas Flaßpöhler sagt: "Das bringt viele in eine prekäre finanzielle Situation. Und wenn die Pflegebedürftigen die Kosten nicht mehr selbst tragen können, muss am Ende der Sozialhilfeträger einspringen."
Für die Diakonie RWL sei klar, dass diese Menschen nicht noch stärker belastet werden können. "Systembedingt führt da aber derzeit kein Weg vorbei", betont er. "Es sei denn, die Eigenanteile werden gedeckelt, die Pflegeversicherungsleistungen erhöht oder steuerfinanzierte Entlastungspakete geschnürt – Stichwort: Gas- und Strompreisdeckel. Da müssen wir allerdings abwarten, was die Politik im Detail plant." Zuletzt hat der Bundestag am 21. Oktober einen 200 Milliarden Euro schweren sogenannten Abwehrschirm beschlossen, der Betroffene in der Energiekrise entlasten soll. Wie genau das Geld ausgegeben werden soll, ist aber noch nicht geklärt.
„Mit Blick auf die Energiekrise hat die Politik es verschlafen, energieeffiziente Umbauten der Heime stärker zu fördern", kritisert Andreas Flaßpöhler.
Umbauten fördern
Andreas Flaßpöhler spricht einen weiteren Aspekt an, der für viele Heime in der Energiekrise eine große Rolle spielt - den baulichen Zustand der Gebäude. "Und der ist von Einrichtung zu Einrichtung ganz unterschiedlich", so Flaßpöhler. "Wie alt ist der Bau? Wurde bereits energetisch saniert? Mit diesen und anderen Fragen müssen sich die Einrichtungen nun auch beschäftigen."
Der Pflegeexperte kritisiert, dass die Politik in dieser Hinsicht den vergangenen Jahren nicht genug getan habe und sagt: "Mit Blick auf die Energiekrise hat die Politik es verschlafen, energieeffiziente Umbauten der Heime stärker zu fördern." Entsprechend des Koalitionsvertrags wünscht er sich die Finanzierung einer klimaneutralen Gebäudemodernisierung. "Dass hier bislang zu wenig passiert ist, rächt sich jetzt massiv", so Flaßpöhler. "Unsere Einrichtungen haben beispielsweise riesige Dachflächen, die prädestiniert sind für Solaranlagen. Wenn vor Jahren schon mehr Förderprogramme angestoßen worden wären, würden sich die Pflegeheime und ihre Bewohner jetzt in einer weniger schwierigen Lage wiederfinden und wären weitaus unabhängiger in Sachen Energieversorgung."
Viele Pflegebedürftige geraten als Folge der Energiekrise in Existenznot und verzichten möglicherweise auf notwendige ambulante Leistungen.
Ambulante Pflege stärken
Andreas Flaßpöhlers Kollegin Anja Köhler hat besonders die Pflegebedürftigen im Blick, die zuhause versorgt werden. Als Teamleitung Ambulante Pflege im Zentrum Pflege der Diakonie RWL befürchtet sie, dass viele von ihnen als Folge der Energiekrise in Existenznot geraten und auf notwendige Leistungen verzichten könnten, wenn die ambulanten Dienste die Preise erhöhen. "Es wäre fatal, wenn Bedürftige das Pflegegeld sparen, um damit die gesteigerten Kosten zu kompensieren." Das ginge auch zu Lasten der Angehörigen, die dann als Pflegende einspringen müssten. Alternativ würden Pflegebedürftige möglicherweise in die stationäre Pflege gehen, was wiederum dem gesetzlich verankerten "Vorrang der häuslichen Pflege" widersprechen würde. Köhler fordert daher: "Auch ambulant gepflegte Menschen und ihre Angehörigen müssen jetzt gezielt finanziell vom Staat unterstützt werden. Da ist der Bund gefragt, denn viele Kommunen, die ja für die Sozialhilfe zuständig sind, werden das alleine nicht bewältigen können."
Experten befürchten: Weil die Kosten weiter steigen, droht der Pflege der Kollaps.
Pflege vor dem Kollaps
Eine Reform der Pflegeversicherung sei dringend notwendig, sind sich die beiden Pflegeexperten der Diakonie RWL einig. Heime und Pflegebedürftige müssten finanziell spürbar entlastet werden. Für Köhler und Flaßpöhler steht fest: "Die derzeitige Situation stellt alle Einrichtungen und die ambulanten Pflegedienste vor große Herausforderungen." Wenn sich jetzt nicht etwas Grundlegendes ändere, drohe der Pflege ein Kollaps.
Text: Verena Bretz, Fotos: Vladimir Fedotov/Unsplash, LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW, Pixabay, Privat, Shutterstock