14. Mai 2020

Digitalisierung in der Corona-Krise

Mit 80 das erste Skype-Video

Die Corona-Pandemie zwingt die Menschen in die soziale Isolation – und weckt eine erstaunliche digitale Kreativität. Wenn Besuche nur unter strengen Auflagen stattfinden dürfen und Abstand gehalten wird, sind Gespräche, Gottesdienste und Konzerte per Skype oder Zoom umso wichtiger. Das zeigt der Alltag im Seniorenheim des Thomas-Müntzer-Hauses der Diakonie Michaelshoven. Wie die Digitalisierung die soziale Arbeit in der Corona-Krise prägt, stellen wir in einer Kurzreihe vor. 

  • Digitalisierung im Altenheim
  • Gartenansicht auf das Thomas-Müntzher-Haus der Diakonie Michaelshoven.

Kaum Besuche von Angehörigen und Ehrenamtlichen, keine Ausflüge oder Spaziergänge außerhalb des Hauses, so sah das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner des Thomas-Müntzer-Hauses der Diakonie Michaelshoven in Köln viele Wochen lang aus. Seit vergangenem Sonntag sind Besuche unter strengen Auflagen wieder möglich. "Wir konnten allen, die Interesse daran hatten, die Chance geben, ihre Angehörigen zu besuchen", sagt Einrichtungsleiter Tobias Fischer. Schließlich hat das Thomas-Müntzer-Haus einen großen Garten sowie einen Park, in dem sich die Angehörigen mit den Bewohnern treffen konnten.

Auch wenn die ersten Erfahrungen mit der Lockerung des Besuchsverbots in nordrhein-westfälischen Pflege- und Altenheimen positiv sind, steht der digitale Kontakt zu den Angehörigen weiterhin im Fokus. "Wir leben hier wie in einem Kokon", sagt Sozialarbeiterin Esther Mühlhan. Alle Angestellten tragen nach wie vor Schutzmasken. "Gerade für Menschen mit Demenz sind die Masken schwierig zu verstehen, da hier ganz viel über die Mimik passiert. Daher haben wir auch mal Münder darauf gemalt."

Kontakt nach außen findet derzeit vor allem über Videotelefonie oder mit Gartenzaunbesuchen statt. Es wurden Tablets angeschafft und die Telekom hat zusätzlich für jedes Seniorenhaus der Diakonie Michaelshoven drei Smartphones mit Datenvolumen gespendet. Doch gerade für an Demenz erkrankte Senioren sind diese Medien nicht einfach zu verstehen. "Zwar kennen viele einen Computer, weil sie selbst früher damit gearbeitet haben. Aber Tablets und die Kommunikation damit, nehmen sie oft ganz anders wahr."

Esther Mühlhan, Sozialarbeiterin im Thomas-Müntzer-Haus der Diakonie Michaelshoven

Angehörige nicht nur hören, sondern auch sehen können - das ist gerade für Menschen mit Demenz wichtig, meint Esther Mühlhan, Sozialarbeiterin im Thomas-Müntzer-Haus der Diakonie Michaelshoven.

Am nächsten Tag ist der vorherige vergessen

So wüssten die Mitarbeitenden vom Sozialdienst häufig nicht, ob die Bewohner mit Demenz die Person, der sie per Tablet zuwinkten, überhaupt erkennen würden, berichtet Esther Mühlhan. Je nach Tagesform und Demenzgrad empfindet jeder der Bewohner und Bewohnerinnen den Umgang mit dem Tablet anders. Manche fragten auch direkt danach, "wo kann man das kaufen. Das ist ja toll".

Wortfindungsstörungen, Wahrnehmungsverzerrungen und zeitlich-örtliche Desorientierung durch die Demenz erschwerten die Gespräche zusätzlich zur Technik. "Sie nehmen sich plötzlich als jünger wahr und nehmen zum Beispiel Bezug auf die Vergangenheit, in der sie gelebt haben. Darauf muss sich ihr Gesprächspartner einstellen oder eine flüssige Kommunikation ist gar nicht mehr möglich", sagt Mühlhan. Zudem wüssten sie oft schon am nächsten Tag nicht mehr, was ein Tablet überhaupt sei oder, dass sie ein Videotelefonat mit ihrem Angehörigen geführt haben.

Das Seniorenheim, in dem Esther Mühlhan arbeitet, ist eine beschützte gerontopsychiatrische Einrichtung: 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner haben eine Demenz. Neben Menschen mit Demenz und anderen psychiatrischen Erkrankungen leben hier auch Menschen mit geistiger Behinderung und Demenz oder Pflegebedarf. Digitalisierung ist hier zwar kein Neuland, aber Skype benutzt das Haus zum ersten Mal. "Es ist wichtig für unsere Bewohner, dass sie ihre Angehörigen nicht nur am Telefon hören, sondern mit dem Tablet auch sehen können", betont sie. Das schaffe eine andere Nähe. 

Die Enkelkinder helfen bei der Videotelefonie zwischen Eltern und Großeltern.

Termine zum Skypen

Auch unabhängig von der Corona-Krise ist das Skypen nach Ansicht von Esther Mühlhan für ältere Menschen eine gute Möglichkeit, in Kontakt mit den Angehörigen zu bleiben. Zum Beispiel, wenn sie im Ausland lebten.

In den meisten Fällen haben die Mitarbeitenden vom Sozialdienst den Bewohnern assistiert, wie sie das Tablet oder Smartphone für ein Videotelefonat nutzen können und sie bei beim Videotelefonat mit den Angehörigen als Moderator unterstützt. Bei einigen Angehörigen seien es die Enkelkinder gewesen, die ihren Großelternteil technisch eingewiesen hätten, damit er in Kontakt mit dessen Ehepartner aus dem Haus treten kann, erzählt Esther Mühlhan. "Wir begleiten jedes Videotelefonat, indem wir Termine mit den Angehörigen vorher ausmachen. Das klappt gut."

Im Garten des Thomas-Müntzer-Haues gibt es Balkon- und Zaun-Gespräche zwischen den Bewohnern und Angehörigen.

Im Garten des Thomas-Müntzer-Haues gibt es Balkon- und Zaun-Gespräche zwischen den Bewohnern und Angehörigen. 

Gottesdienste und Konzerte per Video

Was bleibt, sind der hauseigene Garten, die Balkone – und die digitale Kommunikation nach außen. Alle Altenheime der Diakonie Michaelshoven sind inzwischen mit Tablets und auch Smartphones ausgestattet. Meist sind die Geräte Spenden. "Wir nehmen das Tablet oder einen Laptop und spielen für die Bewohner darauf auch mal Filme ab." 

Die Seniorinnen und Senioren schauen sich ebenso diakonieeigene digital zur Verfügung gestellte Gottesdienste über Youtube darauf an. "Letztens gab es ein Balkon-Konzert im Garten des Seniorenheims. Das wurde von der Unternehmenskommunikation aufgenommen. Der Film wurde zusammengeschnitten und dann aus Datenschutzgründen über einen beschützten Zugang an die Angehörigen verschickt und den Bewohnern auf dem Tablet vorgespielt", sagt Mühlhan. "So konnten die Angehörigen am Leben hier im Haus teilnehmen. Das ist ein kleiner Trost gewesen."

Die Sozialarbeiterin denkt sogar darüber nach, in Zukunft VR-Brillen einzusetzen, um Fantasie-Reisen mit den Bewohnern zu machen. Hier ist das Haus auf Spenden angewiesen. "Die Digitalisierung werden wir auf jeden Fall weiterführen und ausbauen", betont sie. "Das ist die Zukunft." Aber nicht nur die Videotelefonie erlebt in Krisenzeiten einen Aufschwung, auch ein ganz analoges Mittel: der Brief. Seit der Krise bekommen die Bewohner im Thomas-Müntzer-Haus vermehrt Briefe und Postkarten von ihren Angehörigen, die ihnen die Mitarbeiter vorlesen. Es werden gemeinsam mit den Senioren und Seniorinnen Briefe und selbstgemalte Postkarten verschickt.

Text: Christoph Bürgener, Fotos: Diakonie Michaelshoven, pixabay
Ihr/e Ansprechpartner/in
Christoph Bild
Stabsstelle Politik und Kommunikation
Weitere Informationen

Lockerung des Besuchsverbots im Thomas-Müntzer-Haus:  Das Seniorenheim der Diakonie Michaelshoven hat keine passenden Räume, in denen sich Bewohner und Besucher treffen können. Daher finden die Begegnungen nur im Garten oder Park statt, wie Einrichtungsleiter Tobias Fischer erklärt. Dabei muss der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden. Zudem müssen alle Angehörigen einen Mundschutz tragen und vor dem Treffen bestätigen, dass sie keine Symptome wie Halsschmerzen oder Husten haben.  Auch wird bei jedem Besucher die Temperatur gemessen. Liegt diese über 37,9 Grad, darf kein Besuch stattfinden. Auch die Mitarbeitenden tragen eine Atemschutzmaske und messen täglich ihre Temperatur. Wer mehr als 37,5 Grad hat, darf nicht arbeiten.