22. April 2021

Digitalisierung in der ambulanten Pflege

Unterwegs mit verordneter Handbremse

Weniger Bürokratie und mehr Zeit für die Patienten. Das wünschen sich viele ambulante Pflegekräfte. Zwar helfen digitale Anwendungen den Pflegediensten schon jetzt dabei, Zeit zu sparen. Doch es wäre noch viel mehr möglich. Die Pflegedienste fühlen sich durch das Fehlen einer Digitalisierungs-Strategie in der Pflege ausgebremst.

  • Pflegekraft unterwegs mit Smartphone (Foto: Shutterstock)
  • Pflegekraft der Diakonie Dortmund mit Auto (Foto: Diakonie Dortmund)
  • Pflegekräfte der Diakonie Dortmund mit Masken vor einem Haus (Foto: Diakonie Dortmund)
  • Smartphone und Blutdruckmesser auf einem Tisch (Foto: pixabay)

Wenn die rund 300 ambulanten Pflegekräfte der Diakonischen Pflege Dortmund ihren Dienst antreten, greifen sie zuerst zum Smartphone. Ohne die digitalen Geräte wäre die Arbeit kaum noch denkbar, erklärt Fachbereichsleiterin Birgit Knehans. Über das Smartphone erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle Informationen, die sie für ihre Tour zu den pflegebedürftigen Menschen brauchen. Das beginne mit einem Blick in das digitale Übergangsbuch, sagt Knehans. Dort hinterlegen alle Kolleginnen und Kollegen wichtige Informationen zu den einzelnen Kunden. Außerdem ist die gesamte Tour digital gespeichert. 

Ohne die Informationen aus dem Smartphone würden die Pflegekräfte noch nicht einmal in die Wohnungen der Kunden gelangen, die meist nicht mehr selbst die Tür öffnen können. Das digitale System gibt genau an, welche der nummerierten Schlüssel aus dem Schlüsselkasten mitgenommen werden müssen. Aus Sicherheitsgründen sind die Schlüssel nicht mit den Namen der Kunden beschriftet. 

Birgit Knehans von der Diakonischen Pflege Dortmund (Foto: privat)

Digitale Geräte erleichtern die Arbeit in der Pflege enorm, erklärt Birgit Knehans von der Diakonischen Pflege Dortmund. 

Pflege mit dem Smartphone

Welche Medikamente brauchen die Kunden? Auch das weiß das schlaue Computersystem. Viele Patienten lagerten ihre Arzneien beim Pflegedienst, so dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Präparate bei Dienstantritt einpacken müssen, erklärt Knehans. Bevor es dann endlich losgeht, sagt das System der Pflegekraft auch noch, welches Auto aus dem Fuhrpark heute für sie reserviert ist.

Kommt die Pflegekraft bei der Patientin oder dem Patienten an, meldet sie sich mit einem Tipp auf das Handy-Display an. Nachdem die Kundin oder der Kunde versorgt ist, hakt sie alle erbrachten Leistungen digital ab und checkt wieder aus. Der große Vorteil: "Bei Dienstende liegt der Einrichtungsleitung die Tour komplett vor", sagt Knehans. Eine enorme Erleichterung für Abrechnung und Arbeitszeiterfassung. 

Mappenstapel (Foto: pixabay)

Von wegen "papierloses Büro": Für  jeden Kunden gibt's eine Mappe.

Viel Papier trotz digitaler Technik

Lästiger Papierkram könnte in der ambulanten Pflege also der Vergangenheit angehören. Doch das ist mitnichten so, erklärt Anja Köhler, Teamleitung ambulante Pflege bei der Diakonie RWL. "Digital erfasste Leistungen müssen immer noch doppelt in Papierform vorliegen." Bislang seien die Pflegedienste nach wie vor dazu verpflichtet, ihre Leistungen auch schriftlich festzuhalten. Für die Pflegekräfte bedeute das, dass sie ärztlich verordnete Leistungen immer noch für jeden Kunden in einer Mappe dokumentieren müssen, erklärt Knehans. 

Die doppelte Dokumentation gehe zulasten der Gespräche mit dem Patienten oder den Angehörigen, weiß Köhler. "Alle reden immer von Bürokratieabbau. Aber im Moment sehen wir nicht, dass weniger Papier anfällt und weniger Zeit dafür aufgewendet wird." Allein zur Abrechnung mit den Krankenkassen verschickt jeder Pflegedienst viele hundert Seiten Papier, obwohl alle Einrichtungen bereits auf digitale Abrechnung eingestellt sind. Der Grund: Viele Krankenkassen sind technisch noch nicht in der Lage, digital abzurechnen.

Mitarbeiterinnen der Evangelischen Sozialstationen Duisburg sitzen an einem Tisch mit vielen Papieren. (Foto: Evangelische Sozialstationen Duisburg)

Ausdrucken, Sortieren, Eintüten: In den Evangelischen Sozialstationen Duisburg sitzen die Mitarbeiterinnen lange an den Abrechnungsformularen.

Es "hakt" bei den Krankenkassen

Ein Zustand, über den sich auch Ina Bruns ärgert. "Wir erfassen alle Einzelleistungen elektronisch, verarbeiten sie elektronisch, erstellen die Rechnung elektronisch. Und dann kommt der Punkt, an dem wir alles wieder in Papierform bringen müssen, weil wir an die Kassen nicht elektronisch verschicken können", klagt die Geschäftsführerin der Evangelischen Sozialstationen in Duisburg

Obwohl die beleglose Abrechnung eigentlich bereits Ende 2019 eingeführt werden sollte, hätten sich einige Krankenkassen immer noch nicht darauf eingestellt. Es hake auch deshalb, weil es zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der Leistungserbringer auf Bundesebene noch keine Einigung über die Rahmenempfehlungen für die digitalen Abrechnungen gebe. 

Ina Bruns, Geschäftsführerin der Evangelischen Sozialstationen in Duisburg (Foto: Ev. Christophoruswerk)

Ina Bruns, Geschäftsführerin der Evangelischen Sozialstationen in Duisburg, wünscht sich einheitliche Softwaresysteme.

Dringend gebraucht: Digitalisierungsstrategie

Es brauche zeitnah politische Weichenstellungen, fordert deshalb auch das Bündnis Digitalisierung in der Pflege, das vom Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege sowie fünf weiteren Fachverbänden getragen wird. Gefragt seien geeignete rechtliche Rahmenbedingungen und eine ganzheitliche Digitalisierungs-Strategie für die Pflege, heißt es in einem Positionspapier des Bündnisses. 

Das sei auch deshalb dringend geboten, weil die vielen unterschiedlichen Software-Systeme bei Krankenkassen und Pflegediensten teilweise den Datenaustausch verhinderten, sagt Bruns. Da müssten ähnlich wie bei den Banken Möglichkeiten zur Überbrückung der Schnittstellen geschaffen werden. 

Diakonie RWL-Pflegeexpertin Anja Köhler (Foto: privat)

Diakonie RWL-Pflegeexpertin Anja Köhler ärgert sich über die unnötige Bürokratie in Zeiten des Pflegenotstands.

Formfehler vermeiden 

"Für die Pflegedienste hätte die Digitalisierung große Vorteile", sagt Köhler. So ließen sich etwa viele Fehler und Verzögerungen bei Abrechnungen verhindern. Auch Probleme bei den ärztlichen Verordnungen könnten mit Hilfe digitaler Vorlagen vermieden werden, sagt Knehans. Sie macht die Erfahrung, dass manche Ärzte bei der Verordnung von Leistungen - wie etwa die Medikamentenausgabe oder Insulininjektionen - häufig Formfehler machen. Für die Pflegedienste bedeute das dann zusätzlichen Aufwand. 

Anja Köhler ärgert es, dass den Einrichtungen trotz Pflegepersonal-Mangels unnötig viel Zeit für Dokumentation und Verwaltungsarbeit abverlangt wird. Und das, obwohl es digitale Lösungen gibt, mit denen der Aufwand deutlich verringert werden kann. Ihr Fazit: "Die Pflegedienste sind mit Dingen beschäftigt, die in Zeiten des Pflegenotstandes verboten sein müssten."

Text: Claudia Rometsch, Fotos im Slider: Shutterstock, Diakonie Dortmund