Deutscher Evangelischer Kirchentag
Christiane Grabe
Sie sind in der Leitung der Projektgruppe, die die Veranstaltungen des Zentrums Älterwerden anbietet. Welche Rolle spielt das Thema auf diesem besonderen Kirchentag?
Es ist sicherlich nicht das Topthema. Aber die Frage, wie wir selbstbestimmt und in Würde alt werden können, beschäftigt viele, nicht nur ältere Menschen. Das Thema ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Das zeigt sich auch am Standort unseres Zentrums. Es liegt zentral in der größten Messehalle und nicht mehr am Rand, wie auf früheren Kirchentagen.
Was erwartet die Besucher dort?
Wir bieten nicht nur zahlreiche Podiumsdiskussionen und Workshops an, die vom selbstbestimmten Altern im Quartier über den Umgang mit Demenz, aber auch mit Migration und Vielfalt bis hin zur Sterbebegleitung reichen. Es gibt auch verschiedene Kunstprojekte und eine Zukunftsbibliothek. Wir wollen den Besuchern Anregungen und Ideen für ein gutes und sinnvolles Leben im Alter geben. Aber auch mit ihnen diskutieren, wie wir dafür solidarischere und tragfähigere Strukturen schaffen können. Wir stellen zahlreiche Ideen und Projekte vor und machen Mut, neu oder anders herum zu denken.
Bischof Markus Dröge, Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au und Generalsekretärin Ellen Ueberschär mit dem Kirchentagsmotto (Foto: DEK/Jan-Peter Boening)
Was verstehen Sie unter diesem "Andersherum Denken"?
Es geht darum, unser persönliches, aber auch gesellschaftliches Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dabei können uns Philosophen wie Natalie Knapp und der Biologe Andreas Weber helfen, die wir als Referenten in das Zentrum eingeladen haben. Andreas Weber richtet den Blick auf die natürlichen Kreisläufe, in die wir alle eingebunden sind, und skizziert eine neue Kultur der Lebendigkeit - "Enlivement", die nicht von Kontrolle, sondern von Teilhabe geprägt ist. Natalie Knapp plädiert dafür, sich vom Mythos zu trennen, dass die Zukunft in dieser komplexen Welt berechenbar ist. Doch wir sollten die Werte hinterfragen, mit denen jeder Einzelne die Gesellschaft prägt. Sie legen die Grundlage für zukünftige Entwicklungen. "Anders herum denken" ist zudem auch der Titel eines interaktiven Kunstprojekts im Zentrum Älterwerden.
Sie laden auch zu einem Austausch mit Jugendlichen ein. Was können Ältere von jungen Leuten lernen, wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht?
Ältere sind zu Recht besorgt darüber, wie die nachfolgende Generation all die Probleme stemmen soll, die sie hinterlassen: die Altersarmut, der Pflegekollaps, die Umweltverschmutzung. Aber viele junge Leute gehen kreativ mit diesem Herausforderungen um und finden neue Lösungen. Das sehen wir zum Beispiel beim "Urban Mining", wenn die Müllkippen der Städte als riesige Rohstoffminen genutzt werden.
Ioanna Zacharaki, bei der Diakonie RWL für die Integrationsagenturen zuständig, freut sich über die Theaterreihe, die in Kooperation mit der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit entstand und mit Mitteln der Bezirksregierung gefördert wird.
Die Diakonie RWL-Kollegin Ioanna Zacharaki bietet eine Veranstaltung zum Thema "Umgang mit Migration und Vielfalt im Alter" an. Welche Rolle spielt das bei den Diskussionen ums Älterwerden?
Unsere Gesellschaft wird immer bunter. Und das wirkt sich natürlich auf die Debatten um das Leben im Alter, um Pflege und Sterbebegleitung aus. Einerseits gibt es viele Ängste, wie Migranten und Flüchtlinge mit ihren religiösen und kulturellen Traditionen unsere Gesellschaft beeinflussen und verändern werden. Andererseits sehe ich auch eine große Offenheit und Neugierde gegenüber anderen Kulturen. Viele ältere Menschen reisen gerne in andere Länder, engagieren sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe und empfinden dies als große Bereicherung.
An den Veranstaltungen nehmen zahlreiche ehemals prominente Politiker teil, darunter Franz Müntefering, Henning Scherf und Heiner Geißler. Auch Wissenschaftler, Psychologen und Theologen sind dabei. Auf wen freuen Sie sich besonders?
Gespannt bin ich zum Beispiel auf die Vertreter von Senioren- oder Quartiersgenossenschaften. Es entstehen immer mehr solcher Formen selbstorganisierter Unterstützung in der Nachbarschaft. Wann passt dieses innovative Modell der Selbsthilfe und wo sind die Grenzen? Ich freue mich auch auf Rolf Kreibich, einen Pionier der Zukunftsforschung. Übrigens laden wir die Kirchentagsbesucher nach den Podien noch in unseren "Denkraum" ein, wo sie die Referenten zu einem persönlichen Austausch treffen können.
Vorfreude auf den Kirchentag: Das Vorbereitungsteam (Foto: DEK/Jan-Peter Boening)
Dieser Kirchentag im Reformationsjubiläum nimmt viel Bezug auf Martin Luther. Wo tun Sie das im Zentrum Älterwerden?
Natürlich haben auch wir Luthers berühmten Spruch aufgegriffen "Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute einen Apfelbaum pflanzen". Er steht als Motto über der Veranstaltung "Zukunft denken in unsicheren Zeiten" mit Natalie Knapp und Andreas Weber. Wir haben ihn aber auch wörtlich genommen und richten mit dem Kompost des letzten Kirchentages ein "Frühbeet der Ideen" ein. Dort sollen Besucher ihre Ideen für die Gestaltung der Zukunft "einpflanzen" und stellvertretend hierfür eine junge Pflanze mitnehmen. Diese Idee ist bei der Leitung des Kirchentages sehr gut angekommen. Ich hoffe, das wird auch bei den Besuchern so sein.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke.