1. Februar 2022

Assistierter Suizid

Den letzten Wunsch respektieren

Was tun, wenn Altenheimbewohner ihr Leben beenden möchten? Noch immer fehlt ein neues Gesetz zum assistierten Suizid. Die Diakonie Wuppertal erlaubt ihn jetzt unter bestimmten Rahmenbedingungen. Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann unterstützt die Position des Mitgliedsverbands in der Debatte um das selbstbestimmte Sterben.

  • Handhalten bei einem älteren Menschen im Klinikbett
  • Eingang des reformierten Gemeindestifts der Diakonie Wuppertal, in dem nun assistierter Suizid erlaubt ist.
  • Gedenktisch für Verstorbene im Reformierten Gemeindestift der Diakonie Wuppertal
  • Beate Pilny, Einrichtungsleitung bei der Diakonischen Altenhilfe Wuppertal, vor dem Aufbahrungsbett eines Verstorbenen

"Bei uns fällt es den Bewohnern nicht erst am Mittagstisch auf, dass jemand fehlt", betont Pflegedienstleitung Beate Pilny. Über Tod und Trauer reden und ein würdiges Sterben möglich machen: Das gehört in den acht stationären Einrichtungen der Diakonischen Altenhilfe Wuppertal schon seit vielen Jahren zum Konzept. Das gesamte Personal – von den Pflegekräften bis zur Küchenhilfe – ist dafür im Sinne einer Hospiz- und Palliativkultur geschult.

Doch wie reagieren, wenn für Bewohnerinnen und Bewohner klar ist, dass "würdiges Sterben" für sie auch bedeuten kann, ihrem Leben mit Hilfe eines Dritten ein Ende zu setzen? Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der "geschäftsmäßigen Beihilfe" im Februar 2020 aufgehoben und noch einmal klargestellt, dass ein assistierter Suizid im Sinne des Selbstbestimmungsrechts eines Menschen möglich ist. "Können wir dann hingehen und sagen: Du musst jetzt ausziehen, wenn du die Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen willst, um dich selbst zu töten?", fragt der Wuppertaler Diakonievorstand Martin Hamburger

Ein Jahr lang habe eine Arbeitsgruppe der Diakonie Wuppertal ausführlich über die rechtlichen und ethischen Aspekte des assistierten Suizids debattiert, erzählt der Pfarrer. Dann wurde ein Positionspapier erarbeitet, das nun Grundlage für den assistierten Suizid in den acht stationären Alteneinrichtungen ist. Damit positioniert sich die Diakonie Wuppertal als einer der ersten kirchlichen Träger in einer kontrovers und bisweilen hitzig geführten Debatte um die Sterbehilfe in Deutschland. Das hat in den letzten Wochen für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt. 

Dr. Martin Hamburger, Vorstand der Diakonie Wuppertal

Dr. Martin Hamburger, Vorstand der Diakonie Wuppertal, möchte vermeiden, dass Bewohner zum Sterben in die Schweiz fahren müssen.

"Wir wollen nicht Richter sein"

"In erster Linie verstehen wir uns als Anwalt des Lebens", betont Hamburger, "und tun alles dafür, dass ein Mensch nicht zum letzten Ausweg des Suizids greift. Aber wenn er nach reiflicher Überlegung entscheidet, nicht mehr weiterleben zu wollen, dann sind wir nicht der Richter, der urteilt: Das darfst du nicht." Niemand müsse ausziehen oder in die Schweiz fahren, um diesen Schritt zu tun. "Wir lassen die Menschen nicht alleine, sondern respektieren ihre Entscheidung – auch, wenn wir sie nach unseren ethischen und religiösen Maßstäben nicht für richtig halten mögen." 

Weder Pflegekräfte noch Seelsorgende oder der ambulante Hospizdienst beschaffen weder die tödlichen Medikamente und assistieren bei deren Einnahme. "Aber natürlich bieten unsere Mitarbeitenden an, bei Gesprächen dabei zu sein. Schließlich sehen wir unsere Aufgabe darin beim Sterben zu gleiten, nicht aber bei der Selbsttötung." Doch wie lässt sich feststellen, dass Menschen ihren Entschluss wirklich aus freiem, verantwortlichem Willen gefasst haben und nicht etwa, um anderen nicht länger zur Last fallen zu wollen?

Eine schwierige Frage, die ein aktueller, fraktionsübergreifender Gesetzentwurf jetzt mit einem "Schutzkonzept" aus Gutachten, verpflichtender Beratung und Wartezeit beantwortet. Klar ist auch für die Diakonie Wuppertal, dass  jeder Einzelfall genau geprüft werden muss. Dafür will sie ein übergeordnetes Gremium einrichten, das konkrete Umsetzungsschritte aus ethisch-rechtlicher Sicht erarbeitet. Noch fehlen Erfahrungen mit dem assistierten Suizid in den Einrichtungen. Eine schwierige Gratwanderung sei er in jedem Fall, räumt Hamburger ein.

Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann

"Mit keiner Entscheidung wird man eine weiße Weste behalten. Trotzdem dürfen wir dem Thema nicht ausweichen", betont Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann.

"Ein unauflösbarer Konflikt"

"Wir befinden uns in einem Dilemma, einem unauflösbaren Konflikt", betont auch Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Man wird mit keiner Entscheidung eine weiße Weste behalten – moralisch richtig handeln und sich nicht schuldig machen. Denn es stehen sich zwei elementare Werte gegenüber: die Freiheit des eigenen Willens und der Schutz des Lebens, dem wir uns ethisch und religiös verpflichtet fühlen." Dennoch sei es wichtig und richtig, dem Thema nicht auszuweichen, sondern in diakonischen Einrichtungen eine Haltung zu entwickeln. Insofern unterstütze er die Entscheidung der Wuppertaler Diakonie, den assistierten Suizid unter bestimmten Rahmenbedingungen zuzulassen.

Der Theologe betont aber auch: "Wir brauchen gesellschaftliche Rahmenbedingungen für eine doch sehr persönliche Entscheidung. Das wird schwierig. Aber ich finde, wir müssen das lösen. Schon allein deshalb, weil für den sterbenden Menschen das Dilemma auch unlösbar ist und wir ihn nicht alleine lassen dürfen – bei jeder seiner Entscheidungen." 

Eine junge Frau hält die Hand einer Seniorin.

Suizidprävention gestalten und mehr Seelsorge anbieten: Diesen Appell richtet Diakoniechef Martin Hamburger in der Diskussion um den assistierten Suizid an Diakonie und Kirche.

Seelsorgerliche Angebote verbessern

Dazu hat die Diakonie Wuppertal sich auf den Weg gemacht. Ebenso wie die Ärztekammer, die im Mai 2021 ihre Berufsordnung änderte und den Satz strich, dass ein Arzt keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfe. Doch rund um ein neues Gesetz zum assistierten Suizid, das seit zwei Jahren auf sich warten lasse, müsse noch vieles bedacht und geklärt werden, sagt Vorstand Martin Hamburger.

Er ist froh, dass mit dem neuen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf endlich auch wieder politisch Bewegung in das Thema kommt. "Als Diakonie und Kirche sollten wir gleichzeitig überlegen, wie wir Suzidprävention gestalten und unsere seelsorglichen Angebote verbessern können, damit Menschen ihr Leben bis zuletzt als würdevoll empfinden."

Text und Fotos: Sabine Damaschke, Shutterstock, AdobeStock

Unter dem Titel "Wenn das Leben zu Ende gehen soll – Evangelische Perspektiven auf den assistierten Suizid" lädt die Evangelische Akademie im Rheinland am 1. Februar 2022, 19 Uhr, zu einer Onlineveranstaltung ein. Es diskutierten Diakoniepräsident Ulrich Lilie, der rheinische Präses Thorsten Latzel sowie Professorin Sigrid Graumann, Rektorin an der Evangelischen Hochschule RWL und Mitglied des Deutschen Ethikrats. Mit Impulsen aus der Pflegepraxis. Weitere Informationen sowie den Einwahllink gibt es hier

Ihr/e Ansprechpartner/in
Weitere Informationen

In Deutschland darf niemand einem sterbewilligen Menschen eine Giftspritze verabreichen. Die Tötung auf Verlangen ist verboten. Der assistierte Suizid hingegen ist möglich. Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Sterben, das der Gesetzgeber 2015 beschlossen hatte, für rechtswidrig erklärt. Betroffene können also Sterbehilfevereine, aber auch Angehörige, Bekannte oder Ärzte bitten, eine tödliche Substanz zu beschaffen, die sie dann aber selbst einnehmen müssen. Die Bundesregierung versprach, noch 2021 ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, das den assistierten Suizid regelt. Seit dem 28. Januar liegt ein fraktionsübergreifender Gesetzentwurf dazu vor.