Ambulante Pflege an Weihnachten
Früher Nachmittag am Heiligen Abend. Sarah Philipp, eine der vielen Pflegekräfte der evangelischen Sozialstationen hat die Spätschicht erwischt und macht sich fertig für ihre Runde. "Das ist nicht gerade der beliebteste Abend zum Arbeiten, aber hier ist reihum jeder mal dran damit, die Leute müssen ja versorgt werden", sagt sie. Im Büro auf dem Gelände des Christophoruswerkes holt sie sich den dicken Schlüsselbund für ihre Tour.
Viele Patienten können schlecht laufen und kommen nicht selber zur Tür. Mit ihrem kleinen Dienstflitzer kurvt sie durch die Straßen, auf denen am Heiligen Abend nur noch wenig Betrieb herrscht. Aber nicht für alle Patienten muss sie weit fahren. Im Christophorus Wohnpark leben mehrere Senioren, die häusliche Pflege in Anspruch nehmen, in zwei Häusern. Das sind kurze Dienstwege für die Pflegekräfte.
Sarah Philipp misst jeden Tag Blutzucker bei Frau Reimers. (Foto: Ev. Kirchenkreis Duisburg/Andreas Reinsch)
"Hallo, ich bin es nur"
Haustür auf, Treppe rauf, Vorwarnschelle, Schlüssel rein. "Hallo, ich bin es nur." Jede Wohnung riecht anders. Aber überall wartet ein Mensch auf die medizinische Versorgung und Pflege, die er nötig hat. "Guten Tag Frau Reimers, wie sieht es denn heute aus, haben Sie schon nach mir Ausschau gehalten?"
Das Blutzuckermessen ist Routine. Wo die Patientenakte aufbewahrt wird, wo der stichfeste Abwurfbehälter für die Nadeln steht, das ist immer gleich. Frau Reimers sitzt schon auf ihrer Couch, Sarah Philipp setzt sich dazu, alles läuft Hand in Hand. Welcher Finger meldet sich den heute freiwillig zum Piesacken?
Das Messstäbchen mit dem Tröpfchen Blut wird ins Gerät gesteckt. Beide gucken gespannt auf den ermittelten Blutzuckerwert. "Gar nicht schlecht, da sind nachher noch ein paar Weihnachtsplätzchen erlaubt", stellt Philipp fest und trägt den Wert ein. Sie stellt am Insulin-Pen die Einheiten ein und spritzt ihrer Patientin die nötige Dosis Insulin.
Eine Tasse Tee, ein paar Plätzchen - gerade für ältere Menschen gehört das unbedingt zur Weihnachtszeit.
Plätzchen und sonstige Vorlieben
Dass in der Adventszeit die Blutzuckerwerte bei den Leuten kräftig in die Höhe gehen, hat sie noch nicht beobachten können. "Die Menschen, die gerne etwas Süßes naschen, tun das wohl nicht nur in der Weihnachtszeit, sondern auch das Jahr über", vermutet sie. Man kennt sich ja schon eine Weile. Deshalb weiß sie ganz gut, was ihre Patienten gerne essen und was nicht. Und was sie sonst so für Vorlieben haben.
Was ist denn wohl Neues in der Lieblingsserie von Frau Reimers im Fernsehen passiert? War sie bei der letzten Kniffelrunde im Haus mit dabei? Auch die Patienten wissen so manches Private über ihre Pflegekräfte. Wann hat Sarah Philipp das nächste Mal frei? Wie geht es eigentlich ihrer Cousine, die auch bei der Diakonie arbeitet? Trifft sie die nachher noch, wenn sie nach Dienstschluss mit ihrer Familie feiert?
Tannenzapfen statt Weihnachtsbaum - Viele ältere Menschen verzichten auf aufwändige Dekorationen.
Bescheidender Weihnachtsschmuck
Viel Weihnachtsdekoration sieht sie nicht in den Wohnungen. Und wenn, dann höchstens Kleinigkeiten wie einen kleinen Tannenzweig oder einen leuchtenden Weihnachtsstern auf der Fensterbank. "Ein richtiger Weihnachtsbaum ist für die älteren Leute gar nicht mehr machbar, das wäre denen viel zu viel Aufwand", meint Sarah Philipp.
Die Gespräche am Heiligen Abend drehen sich oft um organisatorische Fragen. "Werden Sie heute noch abgeholt? Fahren sie zu ihren Verwandten?" fragt die Pflegekraft alle Patientinnen und Patienten. Und freut sich innerlich mit jedem, der liebe Leute hat, die ihn zu einer Familienfeier mitnehmen. "Mein Sohn holt mich gleich." "Ich fahre morgen zu meiner Schwester." "Ich kriege noch Besuch von meinen Enkelkindern", "Ich treffe mich zum Kaffeetrinken mit den Nachbarinnen."
Gut, dass es Fernsehen gibt. De Heiligabend verbringen ältere Menschen oft alleine, beobachtet Sarah Philipp.
Fernsehen statt Familie
Das sind Antworten, die Sarah Philipp mag. Doch nicht alle älteren Menschen haben Familienanschluss oder Kontakte in der Nachbarschaft. "Gibt es denn wenigstens was Nettes im Fernsehen?" fragt sie die, die zuhause bleiben. Und schwärmt ein bisschen mit den Patienten über ihren allerliebsten Weihnachtsfilm.
"Für manche Menschen sind wir tatsächlich die einzigen Kontakte am Tag", sagt Sarah Philipp, "da kommt es schon besonders drauf an, den Leuten ein freundliches Gesicht zu zeigen. Und dass man ein paar persönliche Worte miteinander spricht, auch wenn wir nicht endlos viel Zeit haben."
Text: Sabine Merkelt-Rahm, Fotos: pixabay
Diakonie RWL-Reportage über telefonischen Besuchsdienst:
Alter und Pflege
Rund 45.000 Mitarbeitende der Diakonie RWL sind an Weihnachten im Einsatz. Hinzu kommen Tausende Ehrenamtliche, die Weihnachtsfeiern für Obdachlose oder Heiligabendfeiern für Menschen unterstützen, die allein sind. "Ein Dienst an Weihnachten ist kein normaler Dienst", betont Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Viele Diakonie-Mitarbeiter geben sich große Mühe, dass man in unseren Einrichtungen etwas von der frohmachenden Weihnachtsbotschaft erlebt. Ihnen gilt unser besonderer Dank."