18. April 2019

Ambulante Pflege

Akute Sorgen in der Sorgearbeit

Wer ist da, wenn Menschen pflegebedürftig werden? Eine existenzielle und zugleich gesundheitspolitische Frage von höchster Bedeutung. Der häuslichen Krankenpflege kommt eine Schlüsselstellung zu. Der Evangelische Fachverband Ambulante Pflege und Hospizarbeit für NRW in der Diakonie RWL sucht kreativ und pragmatisch nach Lösungen für aktuelle Herausforderungen.

Wie können die Bedürfnisse der Kunden, die Wünsche der Mitarbeitenden, die knappen finanziellen Möglichkeiten und die Erfordernisse von Dokumentation und Abrechnung so in Einklang gebracht werden, dass die ambulante Pflege im gesamten Verbandsgebiet der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe eine gute Zukunft hat? Diese Kernfrage stand im Mittelpunkt bei der Jahrestagung in Bochum. Der Fachverband bot alles auf, was ein Fachverband zu bieten hat:  Mitgliederversammlung und Plenumsdiskussion, Experten-Impulse und Kleingruppenarbeit, Vorstandsbericht und Podiumsdiskussion.

Helga Siemens-Weibring und Sebastian Wirth rahmen die RWL-Expertenrunde Ambulante Pflege

Ina Bruns, Geschäftsführerin der Evangelischen Diakoniestationen aus Duisburg, machte deutlich, dass Pflegebedürftige und Mitarbeitende auf je eigene Weise anspruchsvoller geworden sind. Die Rahmenbedingungen der Sorgearbeit haben deutlichen Verbesserungsbedarf. So wünschen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vollzeitstellen ohne Teildienste. Die Arbeitsinhalte sollten sich soweit möglich an den persönlichen Vorlieben und Stärken ausrichten. Die Zeit für die Kunden soll Qualitätszeit sein. Die Beschäftigten wollen "anders für die Kunden da sein". Unterschiedliche Bezahlungen stiften Unruhe in den pflegerischen Berufen. Und jetzt kommt die generalistische Ausbildung – die Auswirkungen sind noch nicht in allem vorhersehbar. Für Pflegeexpertin Bruns ist die Gewinnung von formal nicht qualifizierten Kräften ein wichtiger Baustein zur Sicherung ausreichender ambulanter Pflege. 

Was Kunden brauchen und Mitarbeitende wollen

Bei den Pflegebedürftigen, die in der eigenen Häuslichkeit gepflegt werden, beobachtet Bruns, dass die Nachfrage nach hauswirtschaftlichen Leistungen exorbitant gestiegen ist. In den Vordergrund gerückt ist der Erhalt von Pflegegeld; hinzukommen soll dann noch "ein bisschen Pflege". Weiterhin gefragt in einer Zeit, in der es kaum noch Angehörige vor Ort gibt, ist dennoch die Lieblingsmitarbeiterin, die möglichst lange bleiben kann. Die Kunden wünschen sich zudem flexible Einsatzzeiten und flexible Einsatzarten. Im Gegensatz zu früheren Zeiten sind 80 Prozent der Hilfebedürftigen der häuslichen Krankenpflege bettlägerig.

Gruppenbild

Runder Tisch häusliche Krankenpflege: Stefan Zimmermann (l.) Petra Kolitschus, Sebastian Wirth

Geld ist knapp

Medien, Politik, Öffentlichkeit und vor allem die Betroffenen selber fordern eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Dieser Konsens ist letztlich nur ein Scheinkonsens, denn die tariflichen Personalkosten sind in den Sozialgesetzbüchern unzureichend refinanziert. Die Kosten sollen gleich und die Beiträge stabil bleiben – mit diesen kaum lösbaren Widersprüchen hat die ambulante Pflege tagtäglich zu kämpfen. 

So versucht man, an den Stellschrauben zu drehen, an denen man vor Ort pragmatisch drehen kann. Dabei scheitern dann gute Ideen aus Pflegewissenschaft und Fachlichkeit oft an der Unbeweglichkeit tradierter Strukturen und Finanzströme. Wie sollen etwa alternative Wohnformen gebaut und gelebt werden, wenn es dafür keine verlässlichen und nachhaltigen Finanzierungen gibt?! Und aus Sicht der Kunden: Manche Modelle für flexible, moderne Pflege funktionieren vielleicht bei leicht Pflegebedürftigen, aber nicht bei Schwerpflegebedürftigen, die nicht von Angehörigen unterstützt werden.

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion mit Wilfried Kehrbach, Christian Heine-Göttelmann, Martina Pollert, Sebastian Wirth (v.l.), moderiert von Helga Siemens-Weibring (Mitte)

Welche Strategie?

Wie und mit welchen Strategien kann die Zukunft der evangelischen Diakoniestationen als wesentliche Versorgungsstrukturen im Sozialraum des pflegerischen Quartiers auf Dauer finanziell gesichert werden? Wie kann mit Aussicht auf Erfolg verhandelt werden und welche Bündnispartner könnte man gewinnen? An den kritischen Bericht des Fachverbandsvorsitzenden Sebastian Wirth schloss sich hierzu eine Podiumsdiskussion an mit Christian Heine-Göttelmann, Theologischer Vorstand der Diakonie RWL, Wilfried Kehrbach, Leiter der Zentrums Betriebswirtschaft der Diakonie RWL und mit Martina Pollert, die in Essen für die Diakoniestationen verantwortlich ist und zugleich dem Vorstand des Evangelischen Fachverbands Ambulante Pflege und Hospizarbeit für NRW angehört. 

In diesen Vorstand wurden Ina Bruns, Birgit Knehans, Thorsten Krüger und Stefan Zimmermann nachgewählt. 

Text und Fotos: Reinhard van Spankeren

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