Ambulante Pflege
Sabine Kern und Susanne Middendorf (v.l.) von der Diakoniestation Münster planen die Tour.
Jeden Morgen gehen Susanne Middendorf und Sabine Kern von der Diakoniestation Münster die Touren ihrer 100 Pflegekräfte durch. Abläufe und Fahrtroute werden immer wieder optimiert. Da, wo früher die Route an der Pinnwand abgesteckt wurde, läuft heute alles elektronisch. Über das Handy erhalten die Mitarbeiterinnen die Infos für den Tag. Auch alle Kontaktdaten zu Angehörigen oder Ärzten der Patienten sind hier gespeichert. Das spart Zeit.
"Wir versuchen alles zu optimieren und klug zu planen", sagt Susanne Middendorf. Die Diakoniestation versorgt heute doppelt so viele Pflegebedürftige wie vor zehn Jahren. Nicht nur in Münster hat ihre Zahl stark zugenommen. Insgesamt werden heute rund 200.000 Menschen in NRW zu Hause gepflegt. Die Dienste in der Diakonie RWL betreuen davon rund 21.000 Pflegebedürftige mit knapp 10.000 Mitarbeitenden. Der Fachkräftemangel in der ambulanten Pflege ist mittlerweile so groß, dass immer mehr Patienten abgelehnt werden müssen.
Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann ist zugleich Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW.
10,5 Absagen pro Monat
Die Kommission Pflegeversicherung der Freien Wohlfahrtspflege NRW, in der die Pflegeexperten aller Wohlfahrtsverbände zusammenkommen, hat jetzt erstmals die vielen Einzelabsagen aus allen Regionen des Bundeslandes systematisch erfasst und ausgewertet. Danach mussten aufgrund personeller Engpässe im Durchschnitt von jedem der 850 ambulanten Pflegedienste 10,5 Absagen pro Monat ausgesprochen werden.
Eine Erhebung der Diakonie RWL unter 41 Diensten stellte alleine im April 604 Ablehnungen fest. Hochgerechnet auf die 261 Dienste wären das rund 3.800 Ablehnungen. "Jede Bitte um Hilfe, die wir nicht erfüllen können, ist für die Betroffenen ein Drama", sagt Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann, der zugleich Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist. "Die ambulanten Pflegedienste arbeiten am Anschlag. Wir brauchen dringend mehr Pflegefachkräfte für die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit."
Claudia Wahl von der Diakoniestation Münster hilft morgens beim Rasieren.
Die Suche nach Kompromissen
Schätzungen zufolge müsste bis 2030 jeder zweite bis dritte Schulabgänger einen Pflegeberuf erlernen, um alle, die dann pflegebedürftig sind, versorgen zu können. Ein ganzes Bündel an Maßnahmen ist nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege NRW nötig, um mehr Fachkräfte für den Pflegeberuf zu gewinnen. Viele ambulante Dienste der Diakonie, so auch die Diakoniestation in Münster, versuchen, die Wünsche der Patienten und der Pflegekräfte so gut wie möglich zu vereinbaren.
"Wir bemühen uns, so wenig Anfragen wie nötig abzulehnen, und suchen Kompromisse", sagt die Pflegedienstleitung Sabine Kern. So biete man Patienten zum Beispiel für das morgendliche Waschen eine spätere Uhrzeit an oder verschiebe Abläufe, damit noch ein weiterer Patient versorgt werden könne. Auch verweise man an andere Anbieter, wenn zum Beispiel ein Ortsteil gar nicht auf der Tour liegt. "Da sagen wir dann auch mal, fragen sie bei der Caritas nach."
Susanne Middendorf leitet die Diakoniestation Münster.
Schöner Beruf, aber wenig Anerkennung
Pflege sei ein ausgesprochen schöner Beruf, betont Susanne Middendorf, Leiterin der Diakoniestation Münster. Ihm fehle aber die gesellschaftliche Anerkennung. Sie ärgert sich, wenn die Pflege in Talkshows schlecht geredet wird. In der ambulanten Pflege könnten Krankenschwestern sehr selbstständig arbeiten und trügen viel Verantwortung. Die Politik müsste sich endlich dafür einsetzen, dass die Gehälter bzw. die Gehaltssteigerungen auch von den Krankenkassen bezahlt werden. "Diese Reform ist seit langem überfällig und führt zu immer weiter gekürzten Pflegezeiten", so Middendorf.
Für Claudia Wahl war das selbstständige Arbeiten in der ambulanten Pflege vor 13 Jahren ein entscheidender Grund zu wechseln. Sie arbeitet nun drei Wochen im Monat und hat dann eine Woche frei. Gerade viele Mütter profitieren von den flexiblen und familienfreundlichen Arbeitszeiten. Sie können arbeiten, während die Kinder in Kindergarten oder Schule versorgt sind und auch später anfangen. Auch die Bezahlung in der ambulanten Pflege hat sich verbessert. Das Einstiegsgehalt bei der Diakoniestation Münster liegt bei 2.900 bis 3.400 Euro brutto – je nach Zeitzuschlägen und Weihnachtsgeld – und die Verträge sind unbefristet.
Wieviele Tabletten muss ich wann einnehmen? Pflegerin Claudia Wahl hat den Überblick.
Wunden pflegen, Tabletten geben, zuhören
Was die Patienten an Unterstützung und Pflege brauchen, ist sehr unterschiedlich. Auch das gefällt Claudia Wahl an ihrem Job. Werner Altemöller hilft sie jeden Morgen beim Rasieren, Waschen und Strümpfe anziehen. Vor ein paar Tagen hat man ihm eine Warze entfernt. Die Wunde ist noch nicht richtig verheilt und sie wirft noch einmal einen kurzen Blick drauf – alles ok. Ohne die Hilfe der ambulanten Pflege könnte der 92-jährige Patient mit seiner Frau nicht mehr alleine in der Wohnung leben.
Eine andere Patientin, die im betreuten Wohnen lebt, braucht nur einmal in der Woche Unterstützung bei der Medikamentengabe. Claudia Wahl füllt die Tablettendosen für die ganze Woche, damit dabei nichts schief geht. Den Rest schafft die Patientin alleine. Bei anderen Patienten fällt es Claudia Wahl schwer zu gehen - besonders, wenn sie keine Angehörigen haben. "Wir sind manchmal das Highlight des Tages."
Neben der Pflege bietet die Diakoniestation auch Hilfe im Haushalt an.
Boom haushaltsnaher Leistungen
Neben der Pflege hat man in Münster auch die Hilfe im Haushalt und Betreuungsleistungen ausgebaut, die durch die Pflegestärkungsgesetze jetzt zusätzlich finanziert werden. Jedem Pflegebedürftigen stehen 125 Euro dafür zu. Mittlerweile arbeitet ein Drittel der Mitarbeiter der Diakoniestation Münster in diesem Arbeitsfeld.
"Auch in diesem Bereich suchen wir immer wieder Personal", sagt Susanne Middendorf. Sie und ihre Kollegin Sabine Kern wissen, dass gute Arbeitsbedingungen die Basis dafür sind, dass ihre Mitarbeiter gerne bei der Diakoniestation arbeiten. Deshalb haben sie nicht nur ein offenes Ohr, wenn es Probleme gibt. Sie geben sich auch viel Mühe mit den Dienstplänen, damit ihre Pflegekräfte gut durch die "Tour" kommen und viel Zeit für die Pflege bleibt.
Text und Fotos: Sabine Portmann