1. April 2020

Altenheim in der Corona-Krise

Unter Quarantäne

In der Corona-Krise leben Senioren im Pflegeheim abgeschottet von der Außenwelt. Denn sie gehören zur Hochrisikogruppe. Am schwersten haben es jetzt diejenigen unter ihnen, die an Demenz erkrankt sind. Sie verstehen nicht, was das Corona-Virus ist, sagt Markus Lowis, Geschäftsführer des Evangelischen Altenzentrums Hückelhoven im Kreis Heinsberg. In der Region sind besonders viele Menschen infiziert.

Der Kreis Heinsberg gilt als Corona-Hotspot. Er war schon zwei Wochen früher als der Rest Deutschlands mit dem Ausbruch des Corona-Virus konfrontiert. Nach Angaben des Kreises haben sich über tausend Menschen infiziert, 32 sind gestorben (Stand: 30.03.2020). Im Evangelischen Altenzentrum Hückelhoven gibt es laut Geschäftsführer Markus Lowis trotz der hohen Zahl an Infizierten keinen bestätigten Corona-Fall (Stand: 28.03.2020). Dennoch müssen die Bewohnerinnen und Bewohner mit vielen Einschränkungen leben.

Alte Hände, die stricken

Handarbeiten statt spazieren gehen - Menschen mit Demenz verstehen in der Corona-Krise nicht, warum sie plötzlich im Heim bleiben müssen. Ihr Alltag ist auf den Kopf gestellt. 

Wie die Bewohner mit dem Corona-Virus umgehen

So sollen die Senioren das Haus nicht mehr verlassen. 106 Bewohnerinnen und Bewohner bleiben auf ihren vier Wohnbereichen. Dort können sie sich noch in Gruppen treffen, solange es keinen positiven Coronafall gibt, sagt Lowis. "Wir können die Bewohner natürlich nicht gegen ihren Willen hier im Haus halten. Wer raus möchte, kann dies tun. Aber das macht keiner."

Lowis hat sie gefragt, ob sie Angst vor dem Virus haben. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. "Neben den Sorgen und Ängsten hat diese Generation noch den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt. Die meisten sagen, dass sie ein Dach über den Kopf, Nahrung und Unterhaltung haben und damit sehr gut leben können", berichtet Lowis. "Einige sagten mir: 'Ob ich an Corona oder der Grippe sterbe, das ist mir egal' oder sie sagen: 'Ich habe mein Leben schon gelebt'."

In Haus leben 60 Prozent der Bewohner mit einer Demenzform. "Sie verstehen nicht, warum sie nicht raus dürfen", erzählt der Geschäftsführer. "Für sie ist die Situation am schwierigsten. Sie gehen ihren gewohnten Weg zur Tür, wollen in den Park, kommen aber nicht raus." Schon seit drei Wochen gebe es in Heinsberg eine 'Ausgangssperre'. "Während Deutschland darüber noch diskutiert, haben wir sie schon."

Corona-Virus

Bislang hat sich das Virus im Altenheim Hückelhoven noch nicht ausgebreitet. 

Nur der Hausmeister ist noch unterwegs

Im gesamten Altenheim bleibt jeder dort, wo er arbeitet oder wohnt. Alle vier Wohnbereiche sind für sich. Es gibt keinen Austausch zwischen den Ebenen. "Auch die Bürokräfte nehmen Anfragen nur noch mit Abstand an und bleiben in ihren Büros, solange sie Dienst haben", berichtet Lowis. Bewohner, die Erkältungsanzeichen zeigen, werden auf ihrem Zimmer isoliert und getestet. Mitarbeitende, die Symptome zeigen, kommen in häusliche Quarantäne. In solchen Fällen bekommen alle Mitarbeitenden eine Schutzausrüstung. Bislang wurden aber alle, die Symptome hatten, negativ getestet.

Sollte es einen Corona-Infizierten geben, wird dieser sofort isoliert, und die Bewohner der entsprechenden Etage müssen in ihren Zimmer bleiben. Die Mitarbeitenden gingen dann nur noch in voller Schutzkleidung von Zimmer zu Zimmer, die bei jedem Zimmerwechsel ausgetauscht wird. Sobald einer oder eine der Mitarbeitenden das Virus in sich trage, bestehe die Gefahr einer schnellen Verbreitung, sagt Lowis. "Mindestens die Hälfte stünde dann nicht mehr zur Verfügung", schätzt er. Dann müssten Mitarbeitende von anderen Wohnbereichen kommen und damit stiege die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Virus wiederum von Wohnbereich zu Wohnbereich verbreite.

Der Hausmeister ist der einzige der von Wohnbereich zu Wohnbereich gehen darf – und auch dies nur in Schutzkleidung. Oberstes Ziel sei daher, dass das Virus gar nicht erst ins Haus käme. Zweites Ziel sei es, dass es sich nicht von einer auf eine andere Etage ausbreite.

Alte Frau schaut auf dien Handy mit Babyfoto

Den Bewohnern ist es lieber, wenn sie ihre Verwandten im Video-Chat auf dem Handy sehen als versteckt unter Schutzkleidung.

Skypen, um die Enkelkinder zu sehen

Verwandte dürfen nur bei einer schweren Erkrankung oder im Todesfall zu ihren Angehörigen ins Altenheim. Und dann auch nur einzeln und mit voller Schutzausrüstung. Angesichts der starken Isolation der Bewohner wurden neue Wege gesucht, damit diese mit ihren Familien sprechen können. Daher bietet das Altenheim seinen Bewohnern Skype und WhatsApp an, um mit den eigenen Angehörigen zu sprechen.

Das wird gut aufgenommen, berichtet Lowis. "Denn es ist den Bewohnern lieber, dass sie ihre Enkelkinder, Töchter und Söhne zusammen auf einem Handy sehen und nicht einzeln, zeitbegrenzt und versteckt unter Schutzkleidung vor Ort." Die Mitarbeitenden helfen in der Krise, wo sie können und stellen sogar ihre privaten Handys dafür zur Verfügung. "Aber das ist natürlich kein Ersatz für den persönlichen Kontakt", betont der Geschäftsführer.

Atemmaske

Im Kampf gegen das Virus ist die Schutzausrüstung entscheidend, betont Lowis.

Solidarität überwindet Festgefahrenes

In Krisenzeiten zeigt sich, wie gut oder schlecht ein System funktioniert. Lowis zieht schon jetzt mehrere Erkenntnisse aus der Corona-Krise für sein Haus: in Krisenzeiten sind mehrere Kontakte zu Großhändlern wichtig, damit man Alternativen zum Bestellen hat. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Krise zusammenschweiße und vieles überwinde. Sie gleicht aus, was zuvor nicht für möglich gehalten wurde. Beispielsweise Konflikte zwischen Mitarbeitenden,  sagt Lowis.

Auszugleichen sei aber nicht, dass private Altenheime in der Krise durch eine starke Gewinnorientierung schwächer aufgestellt sind. Daher fordert Lowis: "Die Privatisierung von Altenheimen muss eingedämmt werden. Ein gewisser Stamm muss da sein, der nicht gewinnorientiert ist." Dieser Stamm habe mehr Ressourcen, um Krisen auszugleichen. Hier müsse es eine gesellschaftliche Umkehr geben, sagt er. "Noch vor zehn bis 20 Jahren gab es genug Altenheime, die nicht auf eine maximale Erwirtschaftung getrimmt waren." Die Gewinne müssten im Altenheim bleiben und dürfen nicht für Dividende oder unangemessene Löhne verwendet werden, sagt Lowis. 

Lowis' weiteres Zwischenfazit in der Corona-Krise: Im Kampf gegen das Virus ist die Schutzausrüstung entscheidend. Um diese zu gewährleisten, müsse Schutzmaterial periodisch eingelagert werden, damit es schneller in der Notsituation zur Verfügung stehe. "Jetzt in der Krise sind diese Dinge zu spät", betont er. In dieser Zeit kommt es besonders darauf an, dass das System gut funktioniert.

Papierstapel

"Ich wünsche mir weniger Prüfungen und mehr Vertrauen", betont Markus Lowis. 

"Prüfwahnsinn" abschaffen

Eine übertriebene Dokumentation lähmt Altenheime in der Krise. Dann seien sie weniger stressresistent, meint Lowis. Sein größter Wunsch ist es daher, den "Prüfwahnsinn" zu beenden. "Ich habe als Student im Atomkraftwerk gearbeitet. Da gab es nicht so viele Prüfungen wie jetzt im Altenheim", kritisiert er.

"Ich wünsche mir weniger Prüfungen, mehr Vertrauen. Eine Prüfung sagt nichts über das wahre Leben im Altenheim aus. Pflege ist immer Interaktion zwischen Menschen." Der "Prüfwahnsinn" binde sehr viel Zeit, bei der viele Ressourcen verloren gingen. Dadurch, dass die Bundesregierung in der Krise die bürokratischen Anforderungen gesenkt hat, kann Lowis seine Zeit besser aufteilen. 

Text: Christoph Bürgener, Fotos: Markus Lowis, pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Martina Althoff
Referent/in
Zentrum Pflege
Weitere Informationen

Erste große Studie zum Corona-Virus

Im Auftrag des Landes NRW wird gerade im Kreis Heinsberg eine erste repräsentative Studie zum Corona-Virus erstellt. Sie soll die Höhe der Dunkelziffer ermitteln, um die Sterberate der Viruserkrankung präziser und somit die Gefährlichkeit des Virus genauer ermitteln zu können. Dafür werden 1.000 Menschen aus der Gemeinde Gangelt befragt, in der sehr viele Infizierte leben. Die Forscher machen zudem Abstriche und entnehmen Blutproben. Erste Erkenntnisse auch zur Wirkung von Ausgangsbeschränkungen könnten laut dem Bonner Virologen Hendrik Streeck bereits in der nächsten Woche vorliegen. (epd)