13. November 2015

Pflegestärkungsgesetz II

Mehr Leistungen für Pflegebedürftige

Das Pflegestärkungsgesetz II setzt den lange auch von der Diakonie RWL geforderten neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff um. Der Bundestag hat das neue Gesetz am Freitag beschlossen. „Diese Reform nützt insbesondere den Pflegebedürftigen und ihren Familien, denn das neue Gesetz erfasst besser den Unterstützungsbedarf der Pflegebedürftigen", sagte Frauke Bußkamp von der Diakonie RWL. "Über die Leistungshöhe entscheidet, was jemand noch selbst kann und wo er unterstützt werden muss.“

Renatre Forke, Sebastian Wirth

Renate Forke, Sebastian Wirth

Dies ist laut Bußkamp unabhängig davon, ob jemand an Demenz erkrankt ist, unter kognitiven oder körperlichen Einschränkungen leidet. Die diakonischen Träger in NRW stehen durch das veränderte Leistungsverständnis und den damit einhergehenden neuen Finanzierungsmodalitäten bei der Versorgung alter und kranker Menschen vor erheblichen Herausforderungen. Wie die ambulante und stationäre Pflege vor Ort betroffen sein wird, darüber informierte die Diakonie RWL auf einer Fachtagung in Bochum. 

Gesetz richtet Fokus auf Ressourcen von Pflegebedürftigen

Erika Stempfle

Die pflegerische Versorgungsstruktur wird sich verändern – sowohl die ambulante als auch die stationäre Pflege. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff definiert sich durch den Grad der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit, während sich der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff am Hilfebedarf orientierte. Die Bewertung erfolgt innerhalb von sechs Bereichen – Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, psychische Problemlagen, Selbstversorgung, selbstständiger Umgang mit Krankheit sowie die Gestaltung des Alltags und sozialer Kontakte. Aus drei Pflegestufen werden ab dem 1. Januar 2017 fünf Pflegegrade. „Es ist ein Umdenken im Kopf, bisher war der Pflegebegriff somatisch ausgerichtet, der Maßstab war, wie lange braucht ein Familienangehöriger für die Verrichtungen“, sagte Erika Stempfle von der Diakonie Deutschland auf der Fachtagung vor rund 200 Teilnehmern.

Der Fokus im neuen Gesetz sei auch auf die Ressourcen und damit auf deren Erhalt und Förderung gerichtet, hieß es. Manches werde in der Praxis vereinfacht. Wenn zum Beispiel der MDK feststelle, dass ein Rollator gebraucht wird, dann gelte das gleichzeitig als Antrag. „In der ambulanten Pflege gibt es deutlich höhere Leistungen“, meinte Stempfle. Grundsätzlich würden bisherige Leistungsempfänger nicht schlechter gestellt. Das Gesetz tritt am 1. Januar 2017 in Kraft. Das Jahr 2016 müsse von den Trägern der Einrichtungen für die Umstellung genutzt werden, um sich auf die neuen gesetzlichen Bestimmungen einzustellen.

Pflegemarkt teilt sich neu auf

Prof. Ronald Richter

„Der Markt teilt sich völlig neu auf“, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Professor Ronald Richter. Die Leistungen im ambulanten Bereich würden deutlich angehoben. Gleichzeitig steige der Eigenanteil in den niedrigen Pflegegraden im Pflegeheim deutlich für Pflegebedürftige, die ab 2017 neu eingestuft werden und keinen Besitzstand haben. Durch die Besitzstandsregelungen werde es in 2016 Sonder- oder „Vorhol“effekte geben. „Im IV. Quartal 2016 werden alle stationären Plätze belegt sein“, so die Prognose von Richter. Langfristig würden in den Pflegeheimen sehr viel mehr Menschen mit höheren Pflegegraden leben als bisher.

Ronald Richter empfiehlt, 2016 vor Ort Vorarbeiten zu leisten und die Konzepte auf die neuen pflegerischen Leistungen einzustellen, die das Gesetz durch die pflegefachlichen Einstufungskriterien nahelegt. Wichtig ist seiner Ansicht nach auch, neue wirtschaftliche Konzepte zu entwickeln und ambulante, teilstationäre und stationäre Pflege zu vernetzen und durchlässig zu gestalten.

Sterbebegleitung gewinnt an Bedeutung

Gruppenfoto

Gruppenfoto

Pflegeheime müssten sich darauf einstellen, dass die Preise zukünftig eine noch größere Rolle für die Belegung spielen, ergänzte Rudolf Michel-Fabian. Angesichts des Anstiegs der Zahlen von Pflegebedürftigen würden die Heime aber weiterhin gebraucht. „Pflegeheime werden sich verändern. Es wird eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen mit höheren Pflegegraden geben", so der Pflegeexperte. Damit gewinne das Thema Sterbebegleitung weiter an Bedeutung und auf die Heime komme die große Herausforderung zu, eine Versorgung zu gestalten, die diesen Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen gerecht werde.

Skandalös sei, so Michel-Fabian weiter, dass der Gesetzgeber die Heime dabei und damit letztlich die betroffenen Menschen im Regen stehen lasse. Weder in diesem, noch in dem parallelen Hospiz- und Palliativgesetz seien dafür geeignete Rahmenbedingungen vorgesehen.  

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