Modellprojekt zur Pflegedokumentation
Katja Alfing, Geschäftsführerin des Fachverbands Behindertenhilfe und Psychiatrie RWL
Frau Alfing, eigentlich sind es ja gerade Projekte, die für Mitarbeitende viel Bürokratie und Stress bedeuten. Nun soll ausgerechnet ein weiteres Projekt dafür sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird. Was haben die diakonischen Einrichtungen der Diakonie RWL dazu gesagt?
Bei uns beteiligen sich derzeit 280 Pflegeeinrichtungen daran, und täglich werden es mehr. Natürlich ist ein weiteres Projekt zunächst viel Arbeit bei der Umsetzung, aber das Thema „Bürokratie-Abbau“ in der Pflege beschäftigt alle Mitarbeitenden. Schon seit Jahren fühlen sie sich zum Beispiel mit dem ständigen Ankreuzen von Kästchen, welche Medikamente sie den Patienten wann und wie verabreicht haben, wie und wo sie ihn gewaschen haben und wie lange sie für was gebraucht haben, zeitlich überlastet. Insofern ist das Interesse an einer vereinfachten Dokumentation sehr groß und damit auch die Bereitschaft, ein neues Modell zu testen.
Wie sieht denn dieses neue Modell aus?
Es gibt deutlich weniger Dokumentationsblätter. In manchen Einrichtungen haben die Pflegekräfte ja bis zu 70 Blätter ausgefüllt – und zwar täglich aufs Neue. Stattdessen führen sie nun ein Interview mit ihren Patienten und fügen die Daten in ein Stammblatt ein. Auf der Basis dieser strukturierten Informationssammlung werden dann Maßnahmen geplant, etwa welche Medikamente täglich verabreicht und welche Pflegeleistungen erbracht werden oder zu welcher Tageszeit der Pflegedienst kommt. Leistungen, die immer gleich bleiben, die sogenannten „Immer-So-Leistungen“ müssen nicht jeden Tag erneut im Berichteblatt auftauchen. Es muss nur vermerkt werden, was von der vereinbarten Leistung abweicht. Ziel der neuen Pflegedokumentation ist es auch, die Eigenverantwortung des Patienten zu stärken. Er oder seine gesetzliche Betreuung melden sich, wenn die Pflege anders ausfallen soll. Dies muss allerdings vorher vereinbart oder in der strukturierten Informationssammlung vermerkt sein.
Das Modellprojekt wurde vom Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, angestoßen. Was ist das Ziel?
Laumann hat das Projekt im Herbst des vergangenen Jahres gestartet. Für die vereinfachte Pflegedokumentation wollte er bundesweit mindestens ein Viertel aller Einrichtungen gewinnen. Das hat er geschafft. Es beteiligen sich rund 6.800 stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen und - dienste an dem Projekt. Laumann hat allen Pflegekräften versprochen, dass sie für die neue Dokumentation bis zu 40 Prozent weniger Zeit benötigen als mit ihrem alten Modell.
Halten Sie das für realistisch?
Die ersten Rückmeldungen, die ich bekomme, sind jedenfalls positiv. Die neue Dokumentation kann tatsächlich viel Zeit sparen, wenn sie gut eingeführt ist und die Pflegekräfte entsprechend geschult sind. Allerdings ist es zunächst sehr aufwändig, das neue System einzurichten. Die Mitarbeitenden werden zwei Tage lang geschult, dann geben sie ihr Wissen in den Einrichtungen an die Kolleginnen und Kollegen weiter. Die EDV muss entsprechend umgestellt werden. Man muss neue Konzepte schreiben und bestimmen, welche Leistungen in die „Immer-So-Vereinbarung“ gehören. All das braucht Zeit. Daher haben sich die meisten diakonischen Einrichtungen entschlossen, das neue System zunächst nur bei Neuaufnahmen einzuführen und ihre alte Dokumentation nach und nach damit zu ersetzen. Kritisch sehen wir bei der Diakonie RWL, dass es keine projektbegleitende Evaluation des Modellprojektes gibt. Sie ist aber dringend nötig, um gerade die schwierige Einführungsphase bewerten und auch verbessern zu können.
Umwidmungsmöglichkeit noch einmal auf dem Prüfstand
An dem Modellprojekt beteiligen sich nicht alle Einrichtungen der Diakonie. Manche stehen dem Projekt auch eher skeptisch gegenüber. Was sind die Gründe?
Bei der Diakonie beteiligt sich etwa ein Drittel der stationären Einrichtungen und über die Hälfte der ambulanten Dienste. Ein Teil möchte abwarten, wie die Erfahrungen mit der neuen Dokumentation sind, und sie erst dann einführen. Sie wollen wissen, ob sich die Mühe lohnt, denn es bedeutet ja - wie gerade erwähnt - für die jeweilige Einrichtung zunächst einen hohen Mehraufwand. Ein anderer Teil hat bereits selbst für eine Entbürokratisierung in der Pflegedokumentation gesorgt. Es gibt ja keine gesetzliche Vorschrift, die besagt, dass man eine umfassende Dokumentation von 70 Seiten verfassen muss. Das geschieht aber häufig, um die Anforderungen der Prüfinstanzen wie dem Medizinischen Dienst zu erfüllen.
Laumann will mit dem Projekt dafür sorgen, dass sich wieder mehr junge Leute für den Pflegeberuf entscheiden, wenn sie mehr Zeit für einen Patienten haben. Knüpfen Sie auch diese Hoffnung an das Projekt?
Schön wäre es natürlich, aber ich glaube, dafür reicht die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation bei Weitem nicht. Die Überforderung der Pflegekräfte kann nur durch die Einstellung von mehr Personal und eine gesellschaftliche Aufwertung dieses Berufes gestoppt werden. Dazu gehört eine bessere Bezahlung, aber auch eine stärkere Wertschätzung dessen, was diese Berufsgruppe für alte, kranke und behinderte Menschen leistet.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke.