Zur Lage
30.07.2019
Immer mehr Menschen in Deutschland haben keine faire Chance auf eine eigene Wohnung.
650.000 Menschen sind in Deutschland wohnungslos, so die Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Stand 30.07.2019) für das Jahr 2017. Etwa 48.000 sind davon obdachlos.
"Ca. 193.000 (70 Prozent) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, 82.000 (30 Prozent) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Die BAG W schätzt die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8 Prozent (22.000), die der Erwachsenen auf 92 Prozent (253.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 73 Prozent (185.000); der Frauenanteil liegt bei 27 Prozent (68.000) . (Alle Angaben jeweils ohne Berücksichtigung der wohnungslosen Flüchtlinge.)" Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., 30.07.2019
"Ca. 15 Prozent der Wohnungslosen (ohne Einbezug der wohnungslosen Flüchtlinge) sind EU-Bürgerinnen und -Bürger; das sind rund 40.000 Menschen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50 Prozent. Die "Straßenobdachlosigkeit" ist stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt; dies trifft für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu." Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., 30.07.2019
In der Zeit von 2006 bis 2016 ist die Zahl der mietpreisgebundenen Sozialwohnungen bundesweit um 830.000 gesunken. Laut Prognose der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe wird die Zahl weiter kontinuierlich sinken, weil zu wenig miet-preisgebundene Sozialwohnungen neu entstehen.
Jährlich werden in Deutschland 400.000 neue Wohnungen gebraucht.
Ein Großteil davon muss öffentlich gefördert werden, um faire Mieten anbieten zu können.
Die Mieten steigen – nicht nur in Ballungszentren. Mieten und Nebenkosten umfassen bei vielen Menschen mittlerweile mehr als 30 Prozent des verfügbaren Einkommens. Damit bleibt für den täglichen Bedarf zu wenig Geld übrig. Betroffen sind in besonderem Maße arbeitslose Menschen, Alleinerziehende, Senioren mit einer kleinen Rente, Menschen mit einer Behinderung, Geflüchtete oder Familien mit vielen Kindern. Wir beobachten, dass Mieterinnen und Mieter, die sich die Mieten nicht mehr leisten können, aus den attraktiven Zentren und Innenstädten verdrängt werden, obwohl sie dort schon lange leben. Viele Menschen mit wenig Geld leben in Wohnungen, die in einem schlechten Zustand sind und als "unvermietbar" gelten.
Ein Grund für den ansteigenden Wohnungsmangel ist der Mangel an Baugrundstücken. Die wenigen teuren Grundstücke erhöhen die Baukosten und verhindern so den Bau von preisgünstigem und fairem Wohnraum.
Günstige Mietwohnungen werden viel zu oft in Eigentumswohnungen umgewandelt oder "luxussaniert". Auch die Modernisierung eines Gebäudes, um den Energieverbrauch zu senken oder eine als Sanierung deklarierte Instandhaltung führen zu Mieterhöhungen. Menschen mit wenig Geld können sich diese Wohnungen dann nicht mehr leisten.
Der Wohnungsmarkt ist ungleich verteilt. Während insbesondere in Ballungsgebieten Wohnungen fehlen, fehlt in ländlichen Gebieten häufig die Infrastruktur, um das Wohnen auf dem Land attraktiv zu gestalten. Viele, die auf dem Land leben, fühlen sich abgehängt.
Forderungen an die Politik
- Die Diakonie RWL fordert deshalb: Wir brauchen fairen Wohnraum für alle. Die Politik muss die Bereitstellung von bezahlbaren Wohnungen stärker fördern, als dies bisher geschieht. Dazu sollten der soziale Wohnungsbau belebt und bessere Rahmenbedingungen für einen sozialverträglichen Umgang mit Grund und Boden geschaffen werden. Denn: Boden- und Wohnungspolitik muss sich an den Menschen und nicht am Markt orientieren.
- Bei der Planung neuer Baugebiete sollte vor allem in wachsenden Ballungszentren 40 Prozent für öffentlich geförderten "fairen" Wohnraum eingeplant werden – mit einer ausreichenden Zahl an kleinen Wohnungen.
- Das Wohngeld – das Menschen mit geringem Einkommen als Zuschuss zum Wohnen bekommen – ist nicht an die Mietpreisentwicklung angepasst. Hier müssen Lösungen gefunden werden, damit auch beim Bezug von Wohngeld Wohnraum angemietet und behalten werden kann.
- Die Infrastruktur in ländlichen Regionen sollte so gestärkt werden, dass Menschen, die dort wohnen, nicht abgekoppelt werden.
Was Kirche und Diakonie tun können
- Kirche und Diakonie nehmen sich aktiv der Wohnungsnot an, bringen Wohnen als Frage der gesellschaftlichen Gerechtigkeit in den öffentlichen Diskurs ein, beteiligen sich an zivilgesellschaftlichen Bündnissen zur Verbesserung des Wohnungsmarktes und treten dazu in den Dialog mit dem Land NRW, den Kommunen und weiteren Akteuren ein.
- Kirche und Diakonie setzen sich ein für öffentlich geförderten fairen Wohnraum für Benachteiligte, etwa für den Erhalt und die Schaffung von Wohnraum im sog. unteren Marktsegment, für bezahlbare Mieten besonders für geringverdienende Haushalte, durch die verstärkte Vergabe von öffentlichem Bauland im Rahmen von Erbbauverträgen sowie weitere geeignete gesetzliche Maßnahmen zur Verhinderung von reiner Boden- und Immobilienspekulation.
- Kirche und Diakonie unterstützen Projekte von diakonischen Trägern und Kirchengemeinden bei der Schaffung von fairem Wohnraum. Sie prüfen bei der Bebauung von eigenen Grundstücken, ob Wohnraum für Benachteiligte, generationsübergreifende und sozial durchlässige Wohnmodelle sowie genossenschaftliche Wohnbauprojekte geschaffen oder besonders gefördert werden können.