8. September 2015

Diakonie-Vorstand zur aktuellen Flüchtlingspolitik

„Gesamtkonzept für Zuwanderung fehlt“

Die Asylverfahren beschleunigen, legale Wege der Arbeitsmigration schaffen und mehr Unterkünfte bereitstellen – Das aktuelle Asylpaket der Bundesregierung ist nach Ansicht der Diakonie RWL ein Schritt in die richtige Richtung. Doch noch immer fehlt ein Gesamtkonzept für die Zuwanderung nach Deutschland, kritisiert Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie RWL, im Gespräch mit epd.

Christian Heine-Göttelmann

Christian Heine-Göttelmann

Die Koalition hat sich am Sonntagabend auf Maßnahmen zur Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen geeinigt. Gehen die Pläne in die richtige Richtung?
 
Es ist gut, dass die Asylverfahren durch mehr Personal beschleunigt werden sollen. Vor einigen Jahren wurde beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gut geschultes Personal abgebaut, nachdem die Flüchtlingszahlen zurückgingen. Diese Mitarbeiter zu reaktivieren, ist sinnvoll. Bei der Frage nach den sicheren Herkunftsstaaten muss man allerdings genau hinsehen. In manchen Ländern wie Albanien gibt es zwar nicht unbedingt eine staatliche Verfolgung, dafür aber Fälle von Blutrache.
 
Kritisch sehen wir auch den Plan, mehr Sachleistungen statt Bargeld auszugeben. Das schürt den Gedanken, da würden große Gelder an die Flüchtlinge fließen, aber das ist eigentlich nicht der Fall. Wir machen in unserer Flüchtlingsberatung die Erfahrung, dass die Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen vor allem Sachleistungen und daneben nur ein kleines Taschengeld bekommen. Davon müssen sie aber alles bezahlen: Zum Beispiel Fahrtkosten zum Arzt.
 
Für Menschen aus Balkanstaaten soll die legale Arbeitsmigration nach Europa vereinfacht werden. Braucht Deutschland ein umfassendes Einwanderungsgesetz?
 
Generell finde ich es schwierig, dass es in der politischen Diskussion oft als moralisch unanständig dargestellt wird, wenn Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland fliehen. Wir glauben, dass es auch andere Zugänge nach Deutschland braucht als nur das Asylverfahren. Eine Gesamtkonzeption wäre wichtig. Für den Nachzug von Angehörigen sind da erste Schritte gemacht worden, das ist aber nie umfassend geregelt worden. Deutschland braucht Fachkräfte. Man sollte aber versuchen, diese Nachfrage nicht nur durch die momentane Zuwanderung zu bedienen.
 

Ein zentrales Problem ist die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge. Auch hier will der Bund Ländern und Kommunen stärker unter die Arme greifen. Müssen auch die Bürger und die Kirchen hier noch mehr tun?
 
Ja, Bürger und Kirchen müssen mehr tun, und das versuchen wir als Diakonie auch. Allerdings ist das schwierig: Wir suchen aktuell nach Räumlichkeiten für Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen dann 500 oder mehr Menschen untergebracht werden müssten. Dafür kommen häufig nur Gebäude infrage, die wir momentan als Krankenhäuser oder Altenheime betreiben, und die können wir natürlich nicht räumen. Ich weiß aber auch von einigen kleineren Kirchengemeinden, die Flüchtlinge in Privatwohnungen untergebracht haben.
 
Persönliches Engagement für Flüchtlinge ist nicht hoch genug zu bewerten, aber die Flüchtlingsaufnahme ist vor allem eine staatliche Aufgabe. In den vergangenen Jahren ist es verschlafen worden, Wohnraum für einkommensschwache Menschen zu schaffen. Dabei darf man auch nicht nur über Flüchtlinge reden, sondern der soziale Wohnungsbau muss grundsätzlich ausgebaut werden.
 
 
Das Gespräch führte Jasmin Maxwell, epd.

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